Die Wohlgesinnten
das wird sich sehr positiv auf die Moral der Truppe auswirken.« Dr. Widmann aß mit uns zu Abend; hinterher,vor dem Billard, erzählte er uns, wie das Verfahren erfunden wurde: »Eigentlich hat Gruppenführer Nebe die Idee gehabt. Eines Abends in Berlin hatte er einen über den Durst getrunken und war in seinem Wagen eingeschlafen, nachdem er ihn in die Garage gefahren hatte; der Motor lief noch, und Nebe wäre beinahe umgekommen. Wir arbeiteten bereits an einem Lastwagenmodell, wollten aber Kohlenmonoxid in Flaschen verwenden, was angesichts der Verhältnisse im Osten nicht sehr praktisch gewesen wäre. Nach seinem Missgeschick kam der Gruppenführer auf die Idee, die Abgase des Lastwagens zu verwenden. Ein brillanter Einfall.« Sein Vorgesetzter Dr. Heess hatte ihm die Anekdote in der U-Bahn erzählt: »Zwischen Wittenbergplatz und Thielplatz, um genau zu sein. Ich war sehr beeindruckt.«
Schon seit einigen Tagen entsandte Blobel Teilkommandos in die Umgebung von Kiew, um die Kleinstädte zu säubern – Perejaslaw, Jagotin, Koselez, Tschernigow, es gab deren viele. Doch die Teilkommandoführer verzweifelten an der Aufgabe: Durchfuhren sie nach einer Aktion eine dieser Städte irgendwann ein zweites Mal, trafen sie dort weitere Juden an; sie kamen nach dem Abrücken unserer Leute aus ihren Verstecken hervor. Die Führer beklagten, dass dadurch ihre Statistiken vollkommen durcheinandergerieten. Unter dem Strich, so Blobel, hatte das Kommando einundfünfzigtausend Personen liquidiert, davon vierzehntausend ohne fremde Hilfe (das heißt ohne die Orpo-Bataillone von Jeckeln). Für den Einmarsch in Charkow wurde ein Vorkommando gebildet, zu dem auch ich gehören sollte; da ich in der Zwischenzeit nichts mehr in Kiew zu tun hatte (das Ek 5 hatte alle unsere Aufgaben übernommen), befahl mir Blobel, die Teilkommandos durch Inspektionen zu unterstützen. Der Regensetzte ein, und nachdem wir den angeschwollenen Dnepr überquert hatten, versanken wir im Schlamm. Lkws und Pkws waren über und über mit dickem schwarzem Matsch bedeckt, der mit Stroh vermengt war, weil die Soldaten die Schober am Straßenrand plünderten, um Heu vor die Räder der Fahrzeuge zu schütten, was sich allerdings als völlig nutzlos erwies. Ich brauchte zwei Tage, um mich Häfner in Perejaslaw anzuschließen, meist im Schlepptau von Kettenfahrzeugen der Wehrmacht und bis zu den Augen eingedreckt, weil ich die übrige Zeit im Schlamm herumwatete, um den Opel »Admiral« anzuschieben. Die Nacht verbrachte ich in einem kleinen Dorf zusammen mit einigen Offizieren einer Infanteriedivision, die von Shitomir aus an die Front unterwegs waren, erschöpfte Männer, die dem Winter mit Furcht entgegensahen und sich fragten, was das Ganze wohl für einen Sinn habe. Ich hütete mich, ihnen etwas vom Ural zu erzählen; wir schafften es noch nicht einmal bis Charkow. Sie klagten über die neuen Rekruten, die man ihnen als Ersatz für die Gefallenen aus Deutschland schickte, schlecht ausgebildete Leute, die im Gefecht leicht in Panik gerieten, jedenfalls schneller als die alten Hasen. Das Gerät zerfiel ihnen unter den Händen: Die modernen deutschen Feldwagen mit Gummireifen und Kugellagern lösten sich auf diesen Wegen in ihre Bestandteile auf und wurden durch die fast unverwüstlichen Panjes ersetzt, die man den Bauern weggenommen hatte. Die schönen deutschen, ungarischen oder irischen Pferde, mit denen sie den Feldzug begonnen hatten, verendeten massenweise; nur die kleinen russischen Ponys überlebten, die einfach alles fraßen, Birkentriebe und das Stroh der Isba -Dächer; doch sie waren zu leicht, um große Lasten zu ziehen, und die Einheiten mussten tonnenweise Munition und Gerät aufgeben. »Jeden Abend streiten sich die Männer, um ein Dach über dem Kopf oder ein halbwegs trockenes Loch zu ergattern. Alle tragen zerlumpteUniformen und sind voller Läuse, man kriegt nichts mehr, sogar das Brot ist äußerst knapp.« Auch den Offizieren fehlte es an allem: keine Rasierklingen, keine Seife, keine Zahncreme, kein Leder, um die Stiefel zu reparieren, keine Nadeln, kein Garn. Es regnete Tag und Nacht, und sie verloren weit mehr Männer durch Krankheiten – Ruhr, Gelbsucht, Diphtherie – als durch Kampfhandlungen. Die Kranken mussten bis zu fünfunddreißig Kilometer pro Tag marschieren, denn es gab keine Transportmittel, und wenn man sie allein in den Dörfern zurückließ, wurden sie von Partisanen umgebracht. Diese vermehrten sich inzwischen wie die
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