Die Wohltäter: Roman (German Edition)
dass man beinahe Angst bekommt.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Tuva. Wenn sie unbedingt Streit wollten, dann war sie bereit dazu. Sie lachte ein wenig demonstrativ. »Versuchst du mir zu sagen, dass ich in schlechte Gesellschaft gerate? Ich habe noch nie Drogen genommen. Ich war noch nicht einmal richtig betrunken. Ich hatte gute Noten. Worüber beschwert ihr euch eigentlich? Und jetzt habe ich etwas gefunden, was ich gern machen würde. Es ist vollkommen absurd, wie negativ ihr seid.«
Die Mutter hielt ihr die Schüssel mit dem Fleisch entgegen. »Es ist noch für alle etwas da.« Dann wischte sie sich die Hände noch einmal an der Schürze ab, die sie unter dem Tisch über ihren Knien zerknittert hatte. »Glaub nicht, dass wir kein Verständnis für die Sache mit dem Engagement haben. Das kann unglaublich spannend sein. Wir waren zum Beispiel mal auf einer Feier ... « Sie blickte Bo an, um nach seiner Zustimmung zu fragen, dass sie weiterreden durfte. Er verriet mit keiner Miene, die Geschichte bereits zu kennen. »Das war damals, als wir neben der Universität Sex hatten ... «
Tuvas verspürte den unmittelbaren Reflex, die Augen zu verdrehen, aber es kam nur zu einem kleinen Stirnrunzeln, bevor sie sich umentschied.
Ihre Mutter lachte etwas nervös. »Ja, damals herrschte ja ein etwas anderes Klima. Wie auch immer, wie waren auf diesem Fest, und es waren einige da, die davon sprachen, die Sparbank in Lund in die Luft zu sprengen. Verstehst du? Über solche Dinge redete man damals, und wir fanden das eigentlich höchstens ein bisschen kurios ... «
»Und was hat das mit mir zu tun?« Tuva wollte auf jeden Fall eine Erinnerungsexkursion mit ihren Eltern verhindern, denn sie wusste, das konnte dauern.
»Ich möchte nur, dass du weißt, dass wir auch einmal so waren wie du, also für etwas entbrannt waren und fanden, man müsste etwas Wichtiges tun ... glaubten, man könne die Welt verändern. Bei uns ging es ja vor allem um einen gesellschaftlichen Umsturz, wir fanden das spannend.« Die Mutter senkte ihre Stimme und bemühte sich, Tuvas Blick zu erhaschen. »Aber mittlerweile wissen wir, wie unglaublich naiv wir waren.«
Tuva sah weg und zuckte mit den Schultern. »Ich bin nicht der Meinung, dass es da viele Parallelen gibt, auch wenn du versuchst zu behaupten, was ich mache, sei irgendein Trend oder so was. Ich möchte eine Ausbildung machen, um im Wohltätigkeitsbereich zu arbeiten. Ich bin nicht im Geringsten daran interessiert, Banken in die Luft zu sprengen.« Ihr Ton war ruhig und sachlich.
Ihr Vater saß noch immer schweigend da. Tuva sah ihn an. Er hatte zwei weitere Portionen gegessen, so groß konnte seine Unruhe also nicht sein.
Ihre Mutter wechselte die Taktik.
»Wir haben mit Josefin gesprochen. Sie sagt, dass mit dieser Organisation etwas nicht stimmt. Sie behandeln ihre Leute verdammt hart. Sie selbst hat aufgehört, in dem Laden zu arbeiten, weil es ihr zu schlecht ging. Das sagt ja ein wenig darüber aus, wie sie mit Menschen umgehen.«
Tuva war nicht darauf vorbereitet, dass eine ihrer Freundinnen sie hintergehen würde. Josefin war ein schwächliches kleines Wesen, das nicht verstanden hatte, worum es ging. Nach ein paar Sekunden hatte Tuva sich wieder gefangen und richtete ihre Aggression erneut gegen die Eltern.
»Josefin wurde nicht für die Ausbildung angenommen. Das sollte euch etwas sagen. Sie war nicht gut genug. Sie wollten sie nicht haben, ganz einfach.«
Die Mutter versuchte, einen versöhnlichen Ton anzustimmen: »Sie hat uns erzählt, es sei fast unmenschlich, welchen Druck sie auf ihre Angestellten ausüben. Sie war es doch, die dir überhaupt den Tipp mit dem Job gegeben hat. Ihr wart doch lange befreundet, ihr beide. Ist es nicht etwas merkwürdig, dass sie diese Menschen völlig anders einschätzt? Sie hat mit der Gewerkschaft gesprochen ...« Tuvas Mutter sah etwas nervös aus, nachdem sie das gesagt hatte.
»Die Gewerkschaft? Was haben die denn damit zu tun?« Tuva war kurz davor zu explodieren. »Diese Menschen – das klingt, als stimme etwas mit ihnen nicht!« Ihre Stimme zitterte leicht. »Ich kann nichts dafür, wenn ihr euch hier unter eurer kleinen Glasglocke nicht vorstellen könnt, dass es Menschen gibt, die mehr aus ihrem Leben machen wollen, als einfach nur dazusitzen und zuzugucken.«
»Ich möchte auch den weiterführenden Kurs besuchen«, ergänzte sie. »In der Zwischenzeit könnt ihr ja dann versuchen, mich mithilfe meiner Freunde
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