Die Wohltäter: Roman (German Edition)
von was für einer merkwürdigen Nummer rufst du eigentlich an?«
Ninos tastete in seiner Tasche nach den SIM-Karten und stellte fest, dass von all den Telefonen, die er in den letzten Tagen bei sich gehabt hatte, ausgerechnet Ninos Melke Mires offizielles Handy nicht ein einziges Mal eingeschaltet gewesen war.
»Jedenfalls gut, dass du anrufst«, sagte Emil, ohne eine Erklärung abzuwarten. »Ich habe mit dem Außenministerium gesprochen, und es sieht so aus, als wäre das Radio auf derselben Spur. Wenn wir nicht bald loslegen, verlieren wir die Geschichte vielleicht an sie.«
»Aber wie sollten sie all das erreicht haben, was wir schon geschafft haben?«
»Keine Ahnung«, antwortete Emil verbissen. »Ich kann mir vorstellen, dass du viel zu berichten hast. Aber ich möchte nicht zusehen, wie das Radio uns die Story klaut, also sieh zu, dass du schnell wieder hier bist.«
28
TUVA
Bo Fagerlund hatte während der halbstündigen Fahrt von Arlanda nach Bromma nicht viel gesprochen, doch jetzt konnte er sich nicht länger zurückhalten.
»Was machst du dort in der Ferne eigentlich genau?«
»Eine Ausbildung«, antwortete Tuva mit Nachdruck. »Das weißt du doch. Um in anderen Ländern bei Wohltätigkeitsprojekten mitarbeiten zu können. Wir renovieren zum Beispiel Häuser.«
»Aber warum musst du das ausgerechnet in England machen? Es gibt doch Kurse an der Universität?«
Tuva schwieg. Dieselben Fragen hatte ihr Vater schon so oft gestellt, und sie hatte ihm jedes Mal dasselbe geantwortet. Mit seinen Fragen wollte er seine Missbilligung ausdrücken und ihr zeigen, dass er ihre Antworten nicht akzeptierte. Aber er hatte ihr die Kursgebühren bezahlt, und das war das Wichtigste. Sie rechnete damit, dass es höchstens ein bis zwei Tage dauern würde, bis sie ihn überredet hatte, auch den weiterführenden Kurs zu bezahlen.
Sie bogen in den Kiesweg zum Haus im Bergviksväg ein. Die Fliederbüsche, die am Zaun entlang wuchsen und die Villa im Sommer verdeckten, bildeten zu dieser Jahreszeit nur eine lange Reihe kahler Reisigbüschel ohne Knospen.
Tuvas Mutter Marianne stand in der Küche. Sie trug eine Schürze, an der sie sich die Hände abtrocknete, während sie zur Tür stürmte, um Tuva zu umarmen.
»Mein kleines Mädchen! Du darfst nie wieder so lange fortbleiben! « Sie drückte sie fest an sich und wiegte sie hin und her. Dann hielt sie Tuva vor sich und musterte sie von oben bis unten. »Du bist schmal geworden«, lautete ihr erster Kommentar. »Bekommt ihr in dieser Schule auch ordentlich zu essen?«
Tuva nickte. »Natürlich. Aber alles läuft in so schnellem Tempo ab, dass man kaum dazu kommt, ans Essen zu denken. Es gibt wichtigere Dinge.«
»Das muss ja traumhaft sein, wenn man völlig vergisst, etwas zu essen«, rief ihre Mutter unbedarft und tätschelte sich den Bauch, der vollkommen flach war. »Aber es wäre nicht das Dümmste, noch eine Reserve zurückzubehalten.«
Tuva ging hinauf in ihr altes Kinderzimmer und setzte sich aufs Bett. Es würde schon alles gut gehen hier. Sie hatte im Vertrauen mit Leif gesprochen und sagte sich einige seiner besten Mantras vor.
Sie war ein fleißiges Mädchen und hatte immer ihr bestes getan. Bisher hatte sie ihre Eltern nie enttäuscht, auch wenn sie deren Erwartungen andererseits nicht übertroffen hatte. Jetzt hatte sie ihren Platz gefunden, und darüber sollten sie sich mit ihr gemeinsam freuen, fand sie. Sie wusste genau, wofür sie ihre Energie aufwenden würde: zu helfen, die Erde wieder ins richtige Gleichgewicht zu bringen.
Früher waren ihre Eltern einmal genauso gewesen. Davon hatte sie schon zur Genüge erfahren. Es gab kaum etwas, was sie mehr irritierte, als wenn ihre Eltern loslegten und ihre eigene Studentenzeit um das berühmte Jahr achtundsechzig herum zu romantisieren. Natürlich hatten sie anscheinend viel Spaß mit ihrer eigenen Revolution gehabt, für die sie gekämpft hatten, während sie gleichzeitig mit Drogen und anderen Dingen experimentiert hatten, an die sie noch nicht einmal denken wollte. Aber mit welchem Nutzen und wohin hatte es geführt? Im Falle ihrer Eltern offenbar zu einem Designersofa im Stockholmer Bezirk Bromma. Auf dem sie nunmehr beharrlich sitzen blieben, während die Welt vor ihrem Küchenfenster nach wie vor explodierte. Das Einzige, was den Blutdruck ihres Vaters heutzutage noch in die Höhe treiben konnte, war die Immobiliensteuer.
Mitunter schmeichelten sie sich selbst, indem sie in die
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