Die Wohltäter: Roman (German Edition)
die beiden Jungs, die offensichtlich lebhaft über Ligafußball diskutierten; er verstand nur einige Namen der Spieler und Teams, aber beide waren ganz offensichtlich ziemliche Besserwisser. Im Übrigen aßen sie nicht von Tellern, sondern von rechteckigen Holzbrettern. Er beugte sich zu Ninos und zeigte auf das Essen. Dieser nickte und stellte Blickkontakt zu einer der Kellnerinnen her. Fünfzehn Minuten später aß der Engländer bereits genussvoll von einem Holzbrett. Es sah aus wie eine kleine, krumme Tafel. In der Mitte lag, flankiert von Kartoffelbreirosetten, das Fleisch in Rotweinsauce, das zusätzlich auch noch mit Sauce béarnaise garniert und von zwei ebenfalls kartoffelbreiumrahmten Arrangements gekrönt war, einem Bündel grüner, in Bacon gewickelter Bohnen und einer gegrillten Tomatenhälfte.
Als ein langhaariger Troubadour das Restaurant betrat und auf seiner Gitarre klimperte, bestellte der Engländer gerade seinen dritten Zwölfer. Die Kombination von fettem Essen und Hochprozentigem hatte dazu geführt, dass er sich außerordentlich behaglich und gelassen fühlte.
»NUR DEIN SEIN, MAR-GA-RE-TA ...«
Der Engländer fuhr zusammen. Bei den ansonsten nicht besonders lauten Gästen schien ein simultaner Schalter umgelegt worden zu sein. Alle sangen aus vollem Hals. Sogar der Troubadour gab alles und hüpfte im Takt auf und ab, während die Gäste ihre Hände vor- und zurückschwangen. Sie sangen einander so dicht wie möglich in einer falschen Tonlage ins Gesicht. »DU MUSST WISSEN, JAA ... NUR DEIN SEIN, MAR-GA-RE-TA ...«
Ninos bemerkte die Verwunderung des Engländers und ging zu ihm hinüber. »Es geht um ein Mädchen, das Margareta heißt ...« In diesem Zusammenhang verweise »Margareta« auf die closing time, erklärte er. Und das Lied sei auch ein Hinweis darauf, dass man sich im Falle eines gemeinsamen Aufbruchs bald entscheiden müsse. Darauf, dass es nun ganz einfach Zeit werde, seine Angelegenheiten zu klären und die letzte Runde zu bestellen.
Dies schien universell verständlich zu sein, denn der Engländer nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte, und sah zum ersten Mal halbwegs fröhlich aus. Das »Margareta«-Lied gehörte schon lange zu den Standardnummern kurz vor dem Zapfenstreich und wurde stets mit großem Enthusiasmus aufgenommen. Auch der Engländer fing an, seinen Kopf im Takt zu wiegen und wurde von der euphorischen Stimmung mitgerissen. Jetzt beobachtete er, wie einige der Gäste mit dem Finger aufeinander deuteten, aber die Zeigefinger folgten keinem erklärbaren Muster. Denn er sah mindestens eine Frau, die auf diese Weise auserwählt wurde, während sie selbst auf eine andere Person deutete. Er selbst versteckte seine Hände tief in der Manteltasche, damit keine Missverständnisse aufkamen.
4
Die Ausgelassenheit dauerte bis zur Sperrstunde an, als Ninos begann, die Kreditkarten an der Bar wieder zurückzugeben und die Unterschriften auf den Bons einzusammeln. Das stundenlange Palaver bei gleichzeitiger schwerer, körperlicher Arbeit hatte ihn an seine Grenzen gebracht. Er wollte gerade gehen und den Türsteher bitten, den Eingang zu schließen, als acht respekteinflößende Personen durch die Tür traten und ins Restaurant trampelten. Welch ein perfekter Tagesabschluss, dachte Ninos und fühlte eine neue Welle der Erschöpfung in seinen Kniescheiben aufwallen. Sie hatten Besuch von der »Operation Gaststättensanierung«, oder auch Des Teufels Gesellen, wie befreundete Kneipenbesitzer sie zu nennen pflegten. Ninos wusste genau, worauf die »Operation Gaststättensanierung« abzielte, denn er hatte für die ganze Familie ausführliche Vorträge darüber halten dürfen, wer die Gesellen waren und wonach sie suchten. Sie hatten den Auftrag, das Gaststättengewerbe zu »sanieren«, indem sie es von Schwarzarbeit, illegalem Alkohol, Steuerhinterziehung und allem anderen befreiten, was gemäß dem blühenden System von Verordnungen verboten war, mit denen man die Gaststättenbranche sauber halten wollte und eine Unmenge von Beamten mit Arbeit versorgte.
Die meisten Gaststättenbesitzer hatten gelernt, die offensichtlichen Fallen zu umgehen. So war es derzeit beispielsweise allzu riskant, Schwarzarbeiter zu beschäftigen. Dennoch konnte man immer noch leicht an Kleinigkeiten scheitern. Nun hieß es, darauf achten, dass in der Küche keine Fleischstücke am falschen Platz gelagert wurden und niemand eine Kiste vor dem Notausgang platziert hatte. Ninos hoffte
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