Die Wohltäter: Roman (German Edition)
konzentrieren, denn er wollte das Gespräch in eine Richtung lenken, die andeutete, dass es an der Zeit war, aufzubrechen. Er zuckte mit den Schultern. »Ja, ja.«
Das zeigte bei seinem Sitznachbarn Wirkung.
Es ist ihm egal. Allen ist es egal, dachte der Engländer. Sogar seine Gedanken waren mittlerweile undeutlich. Wie wäre es wohl, wenn er diesem bandagierten Kellner ein kleines Beispiel servierte, an dem er sich festbeißen konnte. Damit er verstand. Denn was spielte es eigentlich für eine Rolle. Ein kleiner Barkeeper in einem Vorort im hohen Norden. Plötzlich erschien es ihm wichtig, dass wenigstens eine einzige Person verstand, welch unhaltbare Zustände bei den heutigen Wohltätern herrschten. Und was für eine widerwärtige Person er selbst war, der er noch nicht einmal berichtet hatte, was er wusste. Er verabscheute diesen Gedanken.
»Haben Sie diese grünen Container gesehen, die überall auf den Parkplätzen stehen?«, fragte er Ninos.
Ninos schüttelte den Kopf.
»Dann wissen Sie auch nicht, wozu sie gut sind.« Der Engländer pfefferte die Zigarre in den Aschenbecher und sah wieder auf. »Die Schweden konsumieren mehr Kleidung als jede andere Nation der Welt. Später füllen sie Plastiksäcke mit gebrauchter Kleidung und schmeißen sie in einen dieser Container, damit sie zugunsten der Armen weiterverkauft werden. In Afrika beispielsweise. Wer spendet, glaubt, eine gute Tat geleistet zu haben.«
»Aha. Das ist doch gut«, meinte Ninos.
»Das könnte man meinen.« Der Engländer beugte sich zu Ninos. »Aber stellen Sie sich vor, der Gewinn würde überhaupt nicht bei den Armen landen. Obwohl viele Leute unbezahlt für die Altkleidersammlung arbeiten, weil sie gern etwas Gutes tun wollen.«
»Wer bekommt das Geld stattdessen?«
»Lassen Sie uns einfach festhalten, dass die Erlöse nicht dort landen, wo man es vermutet, wenn man seine Altkleider in einen grünen Container wirft.«
Jetzt ist er richtig besoffen, dachte Ninos. Es war schon oft vorgekommen, dass eine einsame und dem Anschein nach zugeknöpfte Person sich ordentlich die Kante gab und plötzlich anfing, eine unaufhaltsame Flut von privaten Geschichten zu produzieren.
»Woher wissen Sie das alles?«, fragte Ninos verwundert.
»Sie glauben mir nicht?« Der Engländer sah ihn herausfordernd an.
»Ich wundere mich nur. «
Ninos schlug einen versöhnlich-scherzhaften Ton an. »Das klingt nur einfach etwas seltsam. Wer sollte alte Kleider stehlen wollen? Das ist wohl nicht gerade die schnellste Art und Weise, um Geld zu verdienen.« Ninos war zu müde, um folgen zu können.
»Niemand hat irgendwelche Kleider gestohlen«, sagte der Engländer leicht irritiert. »Hören Sie mir zu. Ich weiß es. Die Menschen verschenken ihre Kleidung vollkommen freiwillig. Nehmen Sie einmal an, Sie hätten Tausende von Containern, die jeden Tag bis zum Rand gefüllt werden. Zusätzlich stehen Ihnen größtenteils kostenlose Arbeitskräfte zur Verfügung, die meinen, eine gute Tat zu vollbringen, indem sie Ihre Container leeren und die Kleidung sortieren. Dann verkaufen Sie die Kleider weiter – die Sie kostenlos bekommen haben.«
Das hörte sich nach einem guten Geschäft an, musste Ninos gezwungenermaßen zugeben. Aber wer wollte schon die abgelegte Kleidung anderer Leute anziehen? Das schien ihm einfach nur unappetitlich.
»Wie werden die Kleider denn verkauft?«
»In Geschäften. Die Leute kaufen wie die Verrückten. Noch dazu haben auch sie wiederum das Gefühl, ein klein wenig Gutes getan zu haben, da das Geld, das sie für die Secondhandkleider ausgeben, einem guten Zweck dient.« Der Engländer sprach nun mit verächtlichem Tonfall. »Die Gewinne der Geschäfte sind für Entwicklungsländer in Afrika, Südamerika oder Asien bestimmt. Den Armen soll Wasser, Essen, Medizin und ein Dach über dem Kopf bereitgestellt werden. In der offiziellen Version also sehr erstrebenswert. «
Ninos dachte laut nach. »Wer Kleider spendet, glaubt also, das sei kher . Und was wird daraus, wenn jemand anderes stattdessen die Erlöse einheimst?«
»Tja, was wird daraus? Keine Ahnung, wie man das nennen könnte, da, wo ich herkomme, würde man es als Diebstahl bezeichnen«, sagte der Engländer theatralisch.
»Und wer sind diese Menschen? Arbeiten Sie für sie?« Der Engländer senkte seinen Kopf und lallte.
»Das war nur ein Beispiel. Ich muss gehen.«
Ninos war verwundert. Offenbar war das Gespräch beendet. Er schwieg einige Sekunden lang. Anscheinend
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