Die Wohltaeter
– hören Sie neuerdings auch Stimmen?«
»Es gibt jemanden, der demjenigen Geld zahlt, der mich umbringt.«
»Und wer will Sie umbringen? Und wer wird das Verbrechen ausführen, Sie umbringen, meine ich?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht gibt es Menschen, die über meine Artikel verärgert sind. Aber das glaube ich nicht. Trotzdem ist es unbehaglich.«
Rask schwieg einige Sekunden lang, bevor er wieder das Wort ergriff. Seine Erklärung stand bereits fest. »Sie haben den Unfall und Ihre Verletzungen nicht aufgearbeitet. Das birgt ein großes Risiko, depressiv oder gar paranoid zu werden. Das gehört zu Ihrem Krankheitsbild.«
Ninos war irritiert. Da vertraute er sich Rask ein einziges Mal freiwillig an, und dann glaubte er ihm noch nicht einmal.
»Ich sagte doch gerade, dass ich bedroht werde. Mein Kumpel hat es mir erzählt.«
»Ninos, nun hören Sie mir mal gut zu. Ich merke, dass es Ihnen sehr schlecht geht. Dies ist eine ernste Sache, Sie müssen sich behandeln lassen. In dem Moment, in dem man glaubt, seine Nächsten stellten die größte Gefahr für einen selbst dar, benötigt man Hilfe. Dann steckt man nämlich bereits tief in der Krankheit drin.«
»Glauben Sie etwa, ich denke mir das aus? Glauben Sie, ich phantasiere? Es ist ernst. Ich versuche ja nur, zu erklären, dasses gerade anstrengend ist. Dass zu viele merkwürdige Dinge geschehen. «
»Doch, ich verstehe schon, dass es ernst ist. Ich habe einen Freund, der zu den besten Psychiatern des Landes gehört. Ich werde ihn für Sie anrufen.«
»Ich will ihn nicht sehen.«
»Sollten wir dann nicht direkt auf der psychiatrischen Akutstation anrufen? Denn es kann nicht sein, Ninos, dass Sie glauben, Sie würden bedroht.«
Ninos versprach, über die Sache nachzudenken. Und das würde er ernsthaft tun. Nach den letzten Wochen schien ihm die Akutstation wie ein Ort, an dem man möglicherweise etwas Ruhe und Frieden finden konnte, auch wenn er Rasks Diagnose lieber nicht zustimmen wollte. Andererseits, so rief er sich in Erinnerung, als er in der letzten Zeit tatsächlich einmal Ruhe und Frieden gefunden hatte, hätte er beinahe den Verstand verloren. Jetzt fühlte er sich eigentlich wieder ziemlich normal.
Einige Stunden später wurde Ninos im Auto, auf dem Weg nach Hause, von einem unerwarteten Schneesturm überrascht. Der Morgen hatte mit strahlendem Sonnenschein und ein wenig Frühlingsgefühlen gelockt, dann aber hatten sich plumpe, dunkle Schneewolken wie eine Mütze über die ganze Stadt gesetzt. Unter den Autoreifen vor ihm wirbelten zarte, weiße Flocken. Ninos fuhr langsam und verbrachte die Zeit damit, sich zu ärgern, dass es Emil und ihm während des Nachmittags nicht gelungen war, für mehr Wirbel zu sorgen. Die Regierung antwortete weiterhin nur mit Schweigen, obwohl ein Pressesprecher von Sida in einem Interview gestammelt hatte, dass sie natürlich alle Anträge von HHH noch einmal prüfen würden, bisher aber nie Unstimmigkeiten entdeckt hätten.
Wirklich aufgebracht schienen nur die Leser zu sein, die bei der Zeitung angerufen und dazu aufgefordert hatten, die Beschuldigungen gegen Wohltätigkeitsorganisationen zurückzunehmen, die lediglich versuchten, etwas Gutes zu tun. Es schien, als hätten sie nicht genau gelesen. Einige hatten sogar erklärt, es sei ihnen egal, wasmit ihren Altkleidern passierte, Hauptsache, sie wären sie los. Denn wo sollten sie jetzt bitte den Inhalt ihrer Kleiderschränke abladen?
Ninos hätte sie am liebsten angebrüllt, doch Emil hatte ihn dazu angehalten, allen Anrufern gegenüber freundlich und geduldig zu sein.
Nein, offenbar schien nichts ein Problem darzustellen, solange keine Missstände aufgedeckt wurden. Offenbar wollten alle nur weiterschlafen. Wenn die Regierung ihre Fördergelder an HHH nicht einstellte, wäre all ihre Arbeit umsonst gewesen, dachte Ninos verbissen.
Er beschloss, eine Runde in der Stadt zu drehen und zu prüfen, ob HHH noch immer Kunden hatte. Er zerrte heftig am Schaltknüppel, der einem alten Hammer ähnelte, um einen U-Turn zu machen. Er hatte die Güte besessen, Manuel am Abend zuvor sein Auto zu leihen, da dessen Wagen in Reparatur war. Manuel hatte ein neues Mädchen kennengelernt, und es wäre für ihn nicht denkbar gewesen, sie nicht mit einem schicken Auto durch die Gegend zu fahren. Im Gegenzug hatte Manuel Ninos die Schrottlaube zur Verfügung gestellt, die er vorübergehend fuhr, einen rostroten, alten Volvo, den Manuel als Pfand von einem Freund
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