Die Wohltaeter
weiter, warum also übernimmst du das dann nicht selbst? Du könnest doch über all das berichten, was du Anna und mir erzählt hast.«
Ingrid schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht. Als jemand, der die Organisation mit aufgebaut hat, wäre ich niemals glaubwürdig. Außerdem würde ich mich dabei nicht wohlfühlen. Aber ich habe lange darüber nachgedacht, und ich werde dich unterstützen.«
»Aber wie?«, fragte Ninos zweifelnd.
»Ich habe zu vielen Menschen Kontakt. Wir werden sehen, ob wir Beweise dafür finden können, womit sie zurzeit ihr Unwesen treiben. Dann bieten wir sie der Morgenzeitung an.«
Das klang, als näherte sie sich langsam den konkreten Fakten. Ninos überlegte, wie lange sie wohl schon darüber nachgedacht hatte und warum ausgerechnet er derjenige war, der diese Aufgabe für sie übernehmen sollte. Doch das war eigentlich am unwichtigsten.
»Kann man denn damit Geld verdienen?«, fragte er am Ende, als ihm keine weiteren Fragen zu der neuen Berufsperspektive einfielen, die sie für ihn vorgesehen hatte.
»Nicht direkt. Jedenfalls nicht als Freiberufler. Aber du wirst ein wenig die Welt verbessern. Oder es wenigstens versuchen.« Sie blickte ihn an. »Es ist deine Entscheidung. Also – willst du eine wichtige Aufgabe übernehmen?«
Genau so musste sie damals rekrutiert haben. Die besten Sektenkniffe. Ihn fröstelte.
»Warum hast du eigentlich deine Meinung geändert? Als ich dich das erste Mal aufgesucht habe, wolltest du doch nicht mit mir reden«, sagte er.
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und konzentrierte sich wieder auf die Straße. »Ich finde ganz einfach, du bist genau die richtige Person dafür. Weißt du, die Organisation ist Teil meines Lebenswerks. Damals half ich ihnen, das aufzubauen, was sie heute sind. Und seit dem Tag, an dem ich eingesehen habe, wie falsch diese Sache in Wirklichkeit war, und sie verließ, denke ich darüber nach, wie ich das je wiedergutmachen kann.« Sie schwieg kurz, um dann fortzufahren: »Es ist Zeit für mich, mein Wissen sinnvoll einzusetzen. Dass wir beide zusammengefunden haben, war wahrscheinlich Zufall, aber ich bin ein ziemlich guter Menschenkenner, und ich glaube nicht, dass du zu der Sorte Mensch gehörst, die nur reden und nichts tun. Ich glaube, wir können das hier zusammen schaffen.«
Das war keine besonders zufriedenstellende Antwort, fand Ninos, aber er wollte sie nicht weiter überreden, jetzt, wo sie sich einmal entschieden hatte. Obwohl er sich etwas unsicher fühlte. Aber bisher hatte es noch nie eine Arbeit gegeben, der er nicht gewachsen gewesen war. Tatsächlich verhielt es sich so, dass er eine neue Tätigkeit meistens angefangen hatte, ohne zu wissen, was genau er eigentlich tun sollte. Aber nach und nach hatte es immer funktioniert, ob es nun darum ging, Pizzen zu backen oder ein Restaurant zu betreiben.
Also, komm schon, ermunterte er sich selbst. Wenn es so war, wie Ingrid erzählte, würde es schon irgendwie gehen. Es erschienihm jedenfalls besser, als eine Therapie zu machen oder sich umarmen zu lassen. Und wenn man dabei kher tat, war es egal, ob es sich um eine Sekte oder etwas anderes handelte. Wichtig war nur, diejenigen aufzuhalten, die das Geld in die eigene Tasche steckten – und dass die Waisen wieder in die Schule gehen durften. Im Grunde genommen nicht sonderlich kompliziert.
Er nickte stumm vor sich hin, während die Lichter der Autobahn gleichmäßig sein Gesicht erhellten.
16
TUVA
Warren House war noch viel schöner, als sie es sich in ihrer Phantasie ausgemalt hatte. Das Hauptgebäude des alten englischen Gutshofs hatte eine gewölbte Vorderseite aus weißen Backsteinen und schiefen, grauen Dachziegeln, von denen nur jeder zweite zu passen schien. Hundertjährige, vertrocknete, welke Kletterrosen rankten die Fassade hinauf, gemeinsam mit Unkraut, das aussah, als hätte es sich in den Backsteinen verbissen. Irgendein alter Viscount hatte den Hof vor langer Zeit am Rande von Wimbledon erbauen lassen. Später war das Herrenhaus in den Besitz des erstgeborenen männlichen Enkels übergegangen, der es verfallen lassen hatte, während er sich im Annabel’s in London flüssiges Kokain injizierte.
Nachdem der Enkel in den achtziger Jahren seinen gesamten Blutkreislauf mit dem erhitzten Pulver gefüllt hatte und vor den Augen eines hysterischen Strichers gestorben war, blieben in dem Adelsgeschlecht keine Erben mehr, die genug Geld besaßen, um das Anwesen zu sanieren. Eine Zentralheizung
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