Die Wohltaeter
Bargeld – und keiner weiß, wer man ist und wer das Telefon gekauft hat.«
Widerstrebend schien Ingrid sich überzeugen zu lassen.
»Okay. Aber du hast auch was von anderen Telefonkarten erzählt?«
»Ja, es gibt Telefongesellschaften, die nicht die üblichen Netze verwenden, damit beispielsweise Menschen, die in Schweden wohnen, billiger zu Hause in Pakistan anrufen können. Man kauft für hundert Kronen eine Karte, schabt den Code frei und ruft von einem Telefon irgendwo auf der Welt an. Das ist billiger und kann nicht nachvollzogen werden, weil es nicht über das normale System läuft. Gleichzeitig sind diese Telefonate schwer abzuhören – sagen die, die es wissen müssen.«
Sie vereinbarten, dass Ninos drei gebrauchte Mobiltelefone mit drei vollkommen neuen Karten für Ingrid kaufen sollte. Dann würde er einen Freund bitten, verschiedene neue E-Mail-Adressen auf unterschiedliche Namen einzurichten, von denen aus Ingrid je eine ihrer Telefonnummern verschicken konnte. Ihr Kontakt würde die Mails über eine besondere Serveradresse abrufen, die Ninos Ingrid ebenfalls aufschrieb. Dann sollte er eine Telefonkarte kaufen und die angegebene Telefonnummer anrufen, sobald Ingrid per E-Mail Kontakt aufgenommen hatte.
Insgeheim dankte Ninos Zorans beharrlichen Ausführungen darüber, dass man ein Telefon nie länger als ein paar Wochen am Stück behalten sollte. Wenn man mitten in einem Geschäft steckte, besser noch etwas kürzer.
»Und du solltest herausfinden, wer Die Notwendigen sind, damit wir wenigstens ein paar Namen haben«, schlug Ninos vor.
Ingrid nickte. Das wäre ihre erste Aufgabe. Doch das herauszubekommen, würde nur eines ihrer Probleme lösen. Als ihm schließlich die zündende Idee kam, war Ninos so glücklich, dass er einen unwillkürlichen Satz auf dem Sofa machte. Wenn Ingrid sich klassischer journalistischer Klischees und Phrasen bedienen konnte, würde er das auch tun, sagte er zu ihr. Ihre Reaktion war nicht gerade überwältigend, doch er versicherte ihr, seine Idee in die Tat umzusetzen.
Es gab da ein journalistisches Vorbild in seinem Kopf, von dem er schon gehört hatte, als er noch klein war und in Deutschland wohnte. Tatsächlich war der Mann über Jahre hinweg der erste und einzige Journalist gewesen, den Ninos mit Namen kannte.
18
Ninos fühlte sich wie in einer Kinderserie – nur hatte jemand die Zwergenwerkstatt mitten in der Hölle platziert, und Ninos war entweder Dante oder ein besonders unglücklicher kleiner Zwerg. Zusammen mit ungefähr fünfzig anderen schwitzenden, übelriechenden Zwergen hatte er drei Tage lang gebrauchte, ungewaschene Kleidung sortiert. Sie bewegte sich behäbig auf den Fließbändern vorbei, die kreuz und quer durch eine große Halle liefen und offenbar niemals anhielten. Ninos atmete schwer durch seinen Palästinenserschal, den er sich vor das Gesicht gezogen hatte. Aber sein Mundschutz half nicht wirklich gegen den Gestank alter Kleider, sondern ergänzte ihn lediglich um den Geruch von eingetrocknetem Kaffee, den er zuvor auf das Tuch geschüttet hatte, damit es möglichst gebraucht und schmutzig aussah.
Er biss die Zähne zusammen, um sich nicht erbrechen zu müssen, und bemühte sich, an etwas anderes zu denken, während er an einem großen Tisch Plastiksäcke öffnete. Menschen, die ihre Kleider für einen wohltätigen Zweck spenden, tun etwas Gutes, redete er sich ein. Sie meinen es nur gut, murmelte er, während er eine weitere Supermarkttüte aufriss, die jemand in einen Container gestopft hatte. Er hoffte, dass sie wenigstens keine Spritze enthalten würde, denn eine solche hatte ein unglücklicher Kollege gerade aus einer Tüte fischen müssen.
Ninos warf zwei lilafarbene Damenoberteile in den Sommerkorb, eine schöne, schwarze Dieseljacke in den Winterkorb und zwei Paar Turnschuhe in den Schuhkorb. Ein Hemd mit Löchern wurde gemeinsam mit zwei Unterhosen aus Nylon in den Recycelkorbunter dem Tisch verbannt. Die meisten Sachen stammten im Übrigen von H &M, deren Textilien die Menschen offenbar in einem Atemzug kauften und wegwarfen. Es war eine gute Tat, seine ausrangierten Klamotten zu spenden. Aber warum dachte niemand daran, sie erst zu waschen, fragte er sich angeekelt.
Ninos griff nach dem großen, schwarzen Plastiksack, der als Nächstes an der Reihe war. Er enthielt ausschließlich T-Shirts mit Aufdrucken von Bier- und Zigarettenreklamen. Als Ninos sie herauszog, musste er lachen, denn sie erinnerten ihn an all die
Weitere Kostenlose Bücher