Die Wohltaeter
mal ähnlich«, sagte er und grinste sie an. Dann legte er das Dokument auf einem Stapel neben sich ab. »Du hörst von mir.«
Als sie zum Rundfunkhaus zurückkehrte, waren bis auf die Redaktionen, die gerade auf Sendung waren, fast alle verschwunden. Im Fernsehhaus fand heute ein Fest statt, und der Radiochor würde gemeinsam mit der Rockband des Fernsehens singen. Karin schauderte vor Unbehagen. Sie hatte nicht vor, das Fest zu besuchen. Denn sie hatte ein Problem mit der Redaktion einer investigativenSendung, in der die selbstherrlichsten männlichen Reporter des gesamten Fernsehhauses arbeiteten, unterstützt von hart arbeitenden Frauen, welche die gesamte Recherche für sie übernahmen. Als frischgebackene Praktikantin war Karin dort einmal so sehr unter Druck gesetzt worden, dass sie dem Chef gegenüber in Tränen ausgebrochen war, wofür sie sich heute noch schämte. Nach einer zweimonatigen Recherche über einen neuen Gesetzesentwurf des Parlaments zur Prostitution hatte der Redakteur sie gehörig fertiggemacht. Er vertrat die Ansicht, Frauen – insbesondere die Sozialistinnen, die ein Gesetz gegen Prostitution forderten – seien ein Haufen »frustrierter Kampflesben«, wie er sich ausgedrückt hatte. Sie bräuchten schlichtweg mehr Sex, und zwar mit Männern, hatte er betont. Außerdem mache einigen Frauen der Sex sogar so viel Spaß, dass sie sich freiwillig dafür entschieden, als Prostituierte zu arbeiten; ob sie das jemals bedacht hätte? Dass diese Frauen Gefallen daran fänden, ständig Sex zu haben? Wie wäre es also, wenn das kleine Fräulein Praktikantin mit den Perlenohrringen aufhörte, prüde und naiv zu sein und die Welt mit realistischen Augen betrachten würde?
Nach allzu vielen Interviews mit Sozialarbeitern und minderjährigen Opfern von Menschenhändlern war Karin zu erschöpft und ängstlich gewesen, um zu protestieren. Stattdessen war sie in Tränen ausgebrochen, zur großen Freude der männlichen Produzenten.
Seither hatte das Fräulein Praktikantin mit den Perlenohrringen eine Menge hinzugelernt, aber sie ertrug es dennoch nicht, ihren ehemaligen Chef gemeinsam mit seinen anderen langhaarigen Kollegen den Rockstar spielen zu sehen. Sie hatten die Angewohnheit, mit ihrer schwierigen Arbeiterherkunft zu prahlen, und hängten sich ihre E-Gitarren um, sobald sich die Gelegenheit bot. Karin hatte sie einmal alle überprüft und herausgefunden, dass sie entweder aus bildungsbürgerlichen Elternhäusern kamen oder in wohlhabenden Villenvororten aufgewachsen waren, mit guten Jahreseinkommen und in mehreren Fällen sogar Vermögen – genau wie alle anderen Journalisten auch.
Um den Ruf ihrer zweifelhaften Herkunft noch zusätzlich zustärken, hatte die Redaktion ihre Rockband Ugly Gangsters genannt, UG abgekürzt. Ein Wortwitz, der keinem entging. Karin hatte den Verdacht, dass alle Reporter, die bei UG mitspielten, heimlich davon träumten, professionelle Gangster zu sein, aber nicht genug Mut aufbrachten.
Sie versank in ihrem ergonomischen Stuhl und verspürte eine große Dankbarkeit für ihren neuen Arbeitsplatz. Vielleicht war das Fernsehen ein wenig effektvoller, dafür war das Radio seriöser. Und es ließ niemanden dicker erscheinen. Zwar besaß sie ein »fernsehtaugliches Aussehen« – ein Begriff von der Journalistenschule –, das Schicksal hatte sie jedoch auch mit einer Radiostimme beschenkt, dachte sie ohne ein Fünkchen Selbstironie. Außerdem war das Interview ausgezeichnet verlaufen.
25
Als Ninos nach dem Wochenende in die Redaktion kam, bildete er sich ein, dass ihn mehr Menschen als gewohnt ansahen. Mit gesenktem Kopf ging er zu Emils Büro. Es war leer. Als er seine Jacke ablegte, entdeckte er auf Emils Schreibtisch einen Zettel. »Kuchen in der Küche!«
Ninos war sich nicht sicher, wo die Küche lag, aber nach einer Weile des Umherirrens fand er sie, voller Menschen, die sich laut unter den Neonlampen unterhielten. Emil konnte er jedoch nirgends sehen. Als er sich gerade umdrehen wollte, bekam er einen Schlag auf den Rücken.
»Der Gangsterkönig! Wie schön, dass Sie vorbeigekommen sind!« Es war Sigge Strömmer, der ihn mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht ansah. »Ist ja ganz gut geworden – das Arsenal war jedenfalls nicht von schlechten Eltern.«
Ninos bedankte sich höflich für das Lob und beschloss, das Missverständnis geflissentlich zu überhören. Der Gangsterkönig war ja nicht er, und was irgendwelche schlechten Eltern damit zu
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