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Die Wolke

Die Wolke

Titel: Die Wolke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Pausewang
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Jogginganzug, obwohl er nie joggte. Er hatte den Reißverschluß der Jacke geöffnet. Das Unterhemd war zu sehen. Es zeichnete den Bauch ab, der aus dem Gummizug der Hose quoll. Onkel Friemel rauchte, obwohl Helga den Rauchgeruch nicht ausstehen konnte.
    »Setz dich zu uns, Kind«, sagte Tante Friemel. »Sie bringen endlich wieder was Lustiges.«
    Sie trug ein Dirndl. Diesmal das lilarote. Sie trug fast immer Dirndlkleider. In Haßfurt hatten die beiden eine Trachtenstube betrieben: Dirndl, Lodenmäntel und Trachtenjanker.
    Sie rückten auf dem Sofa auseinander, und Tante Friemel deutete einladend auf den freien Platz.
    »Wart ihr für oder gegen die Atomkraft?« fragte Janna-Berta, ohne sich hinzusetzen.
    »Nun ja«, sagte Onkel Friemel. »Wir haben von den Risiken nichts gewußt – nicht wahr, Bärbel?«
    Seine Frau winkte unwillig ab.
    »Und nach Tschernobyl?« fragte Janna-Berta.
    »Tschernobyl«, sagte Onkel Friemel achselzuckend, »Tschernobyl war ein russischer Reaktor.«
    »Nun hört doch auf!« rief Tante Friemel. »Setzt euch und seid friedlich.«
    Janna-Berta ging in ihr Zimmer und schlug die Tür zu. Sie fühlte sich so schwach, daß sie es kaum mehr auf den nächsten Stuhl schaffte. Ohne aufzustehen, langte sie sich ein Handtuch aus dem Wäscheschrank. Es war ein sehr altes, gediegenes Leinenhandtuch aus Oma Bertas Aussteuer, mit den Initialen BL. Berta Lothammer. So hatte Oma Berta als junges Mädchen geheißen. Das Leinen war schon etwas dünn und fadenscheinig, aber so wunderbar kühl, daß sich Janna-Berta das Handtuch über Gesicht und Kopf legte. Sie lehnte sich zurück und blieb eine Weile so sitzen, regungslos, mit geschlossenen Augen, bis ihr Elmars Geschrei an der Ampel wieder in den Sinn kam. Da schlug sie die Hände vors Gesicht. Sie fühlte das Leinen, erinnerte sich an das Handtuch und zog es sich ungestüm vom Kopf.
     
    Am Abend kam Helga zu ihr ins Zimmer.
    »Du hast bald Geburtstag«, sagte sie. »Und ich finde, den sollten wir trotz allem ein bißchen feiern. Wir laden die Verwandten ein, soweit sie in der näheren Umgebung wohnen und –«
    »– noch leben«, sagte Janna-Berta.
    Helga überhörte den Einwurf.
    »Onkel Fred und Tante Käthe aus Harburg werden mit Margret und Mia kommen«, sagte Helga. »Sie haben schon zugesagt. Und aus Oldenburg kommen Werner, Max und Thea. Die Schnorrmanns aus Bielefeld –«
    »Ich will keinen Besuch«, sagte Janna-Berta.
    »Sie kommen, weil du wissen sollst, daß du nicht allein bist«, sagte Helga mit betonter Ruhe. »Nur um eins möchte ich dich bitten: daß du wenigstens an diesem Tag eine Perücke trägst.«
    »Glaubst du, die sind in diesen Wochen noch keinen Kahlköpfen begegnet?« fragte Janna-Berta.
    »Gewiß«, antwortete Helga. »Aber die waren nicht mit ihnen verwandt. Das ist ein großer Unterschied.«
    »Du meinst, die Nichtverwandten gehen einen nichts an?« fragte Janna-Berta.
    »Du bist heute gereizt«, sagte Helga. »Wir werden ein andermal darüber sprechen.«
    Damit verließ sie das Zimmer.
    In der Nacht träumte Janna-Berta wieder von einem riesigen blühenden Rapsfeld, über dem sich eine Wolke ballte. Und mitten im Raps stand, klein und verloren, Elmar und schrie.

10
    Dann, an einem regnerischen Samstag, stand Almut vor der Tür: schmal, mager, mit Ringen unter den Augen. Janna-Berta fiel ihr um den Hals.
    »Warum hast du nicht schon längst angerufen?« schluchzte sie.
    »Nach all dem kann man nicht einfach mal per Telefon von sich hören lassen«, sagte Almut. »Jedenfalls ich kann das nicht. Als du in der Suchkartei noch unter der Herleshausener Adresse gestanden hast, bin ich hingefahren. Aber da warst du schon fort. Dort hab ich erfahren, daß dich Helga abgeholt hat.«
    Almut wollte Helga begrüßen, aber die war nicht zu Hause, und Friemels saßen vor dem Fernseher. Janna-Berta half Almut aus dem Regenmantel und zog sie zu sich ins Zimmer.
    »Ich hab auch Ulis Namen auf der Totenliste gefunden«, sagte Almut. »Ist es wahr?«
    Janna-Berta nickte.
    »Erzähl mir von ihm.«
    Janna-Berta erzählte stockend. Sie berichtete in dürren Worten, in zwei, drei Sätzen.
    Almut schwieg.
    »Er ist noch nicht begraben«, sagte Janna-Berta. »Daran muß ich oft denken. Als ob er nachts im kalten Zimmer nicht zugedeckt wäre.«
    Almut setzte sich auf Janna-Bertas Bett. Janna-Berta setzte sich neben sie und legte ihren Arm um sie.
    »Du hast ja noch deine Haare«, sagte sie und ließ eine von Almuts schwarzen Strähnen durch ihre

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