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Die Wolke

Die Wolke

Titel: Die Wolke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Pausewang
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Manchmal war er ins Erzählen gekommen: »... und damals, im Sommer einundvierzig, am Dnjestr ...«
    Almut hatte Janna-Berta einmal erzählt, daß Oma Berta in der Frauenschaft mitgemacht hatte. Das war die Nazi-Organisation für Frauen gewesen. Nein, nicht nur als Mitläuferin, sondern als was Höheres. Als Janna-Berta die Oma danach fragte, bekam sie die unwirsche Antwort: »Ach schweig still von jenen Zeiten! Das ist doch so lange her. Ich hatte bunte Abende für verwundete Soldaten zu organisieren, daran ist doch wohl nichts Böses?«
    Oma Berta war, was die Hitlerzeit betraf, sehr zugeknöpft. Um so redseliger war Opa Hans-Georg. Uli hatte ihm immer mit glänzenden Augen zugehört.
    »Mußt du das denn immer wieder aufrühren, Hans-Georg?« hatte dann Oma Berta unwillig eingeworfen. »Ich will nichts mehr hören vom Krieg und all diesen häßlichen Dingen. Du hast doch, bitteschön, in deinem Leben auch noch anderes geleistet als nur mit Kanonen geschossen!«
    Oma Berta und Opa Hans-Georg lasen sicher längst keine Berichte über die deutsche Atomkatastrophe mehr. Wahrscheinlich redeten sie nicht einmal mehr darüber. Janna-Berta hatte Omas sanfte Stimme im Ohr: »Schweig still, Hans-Georg, ich will von dieser entsetzlichen Geschichte nichts mehr hören!«
    Aber beim Morgenschoppen mit anderen Mallorca-Rentnern würde Opa Hans-Georg in langen Monologen seine Theorie über den Hergang der Katastrophe darlegen: natürlich Sabotage. Und die Drahtzieher saßen im Osten.
    Janna-Berta riß das Fenster auf. Die Gardine wehte ihr ins Gesicht. Sie bekam auf einmal eine unbändige Lust, das Meer zu sehen. Oder wenigstens eine weite Wasserfläche. Sie lief hinaus, ohne auf Tante Friemels verwundertes »Wohin so eilig, Kind?« zu antworten. Sie hastete durch die Spaliere der mitleidigen oder angewiderten Blicke der Passanten, kam an dem Betonsockel vorüber, auf den jemand in riesigen Lettern aufgesprüht hatte: BEDANKT EUCH DAFÜR BEI DEN POLITIKERN! und las an einem Kiosk die Schlagzeilen: ENDLICH ENTWARNUNG! und REAKTOR STRAHLT NICHT MEHR!
    Janna-Berta stutzte. Helga mußte es gewußt haben. Aber beim Mittagessen hatte sie es mit keinem Wort erwähnt. War es ihr nicht wichtig genug erschienen? Janna-Berta wurde bewußt, daß Helga nie über das politische Tagesgeschehen sprach.
     
    Auf dem Weg zur Alster kam Janna-Berta an ihrer Schule vorbei. Dort stieß sie zu ihrem Erstaunen auf Elmar. Vor der dunklen Mauer, an der er lehnte, fiel sein kahler Schädel besonders auf. Er rief den Passanten Frechheiten nach. Janna-Berta steuerte auf ihn zu wie auf einen Rettungsring.
    »Was machst du nachmittags hier?« fragte sie.
    »Ich hänge sozusagen herum«, sagte er. »Und wo, ist schließlich egal.«
    Sie fragte nach seinen Hausaufgaben.
    »Ich mach keine mehr«, sagte er und zuckte mit den Schultern.
    »Wenn du nichts anderes vorhast«, sagte sie, »dann komm mit zur Alster.«
    »Ich hab nichts anderes vor«, sagte er und stieß sich von der Mauer ab, »als dieses beschissene Leben so schnell wie möglich hinter mich zu bringen.«
    An einer Kreuzung mußten sie warten. Hinter ihnen sagte jemand leise: »Mann, die hat's erwischt.« Aber nicht leise genug.
    Elmar fuhr herum und brüllte: »Euch vielleicht nicht? Hier ist es auch runtergekommen! Überall ist es runtergekommen! Nicht so stark? Nicht lebensbedrohend? Wer sagt das? Der Innenminister? Die Politiker? Verlaßt euch drauf: Der Boden, die Luft, die Lebensmittel – alles ist verseucht! Auch wenn ihr nicht wie skalpiert ausseht: Ihr seid programmiert auf Krebs! Was sind vierhundert, fünfhundert Kilometer bei einem SuperGAU? Nur welcher Krebs bei euch ausbrechen wird, ist noch die Frage. Und unter euren Enkeln werden sich phantastische Mißgeburten tummeln. Auch die sind programmiert. Macht euch schon mal gefaßt auf ihre Frage, wie es dazu kommen konnte!«
    Niemand antwortete ihm. Die miteinander geflüstert hatten, starrten in eine andere Richtung. Als die Ampel auf Grün schaltete, hasteten die Wartenden davon. Nur Elmar vergaß zu gehen.
    »Erschlagen werden sie euch!« brüllte er den Passanten nach.
    Janna-Berta war neben Elmar stehen geblieben. Sie spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Die Knie wollten nachgeben. Sie mußte sich gegen die Ampel lehnen.
    »Komm«, sagte sie, »kehren wir um. Ich hab keine Lust mehr.«
    »Lust?« fragte er. »Hast du Lust gesagt?«
     
    Als Janna-Berta heimkam, saßen die Friemels vor dem Fernseher. Onkel Friemel trug einen

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