Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
geschmackvoll zurechtzumachen gewusst.
Nimmst du ihn, weil er reich ist? Das kann ich nicht glauben, Dolors, so eine bist du doch nicht!, hatte Antoni fassungslos gestammelt. Während Dolors nun die Reihe noch einmal strickt, die sie auftrennen musste, gesteht sie sich ein, dass sie Eduard tatsächlich geheiratet hat, weil ervermögend war. Ja, genauso war es, und es ist ihr egal, ob sie jemanden damit schockiert. Heute sieht sie die Dinge jedenfalls glasklar und versteht endlich, warum sie im Leben dies oder das getan hat: Es ist nur jammerschade, dass man dafür erst fünfundachtzig werden muss und sich bis dahin lange Zeit aufführt wie ein Narr.
Heiliger Strohsack, was ist denn das nun wieder? Ach herrje, die drei Wollknäuel haben sich verheddert. Dolors zieht am blauen Garn, mit dem sie gerade strickt, doch sie verschlimmert die Sache damit nur noch. Bravo, jetzt hab ich auch noch einen Knoten fabriziert, wer weiß, ob ich den wieder aufkriege, klein, wie der ist. Leonor hatte ihr die Maschen für das Vorderteil aufgeschlagen, weil sie sich nicht so lange konzentrieren konnte und sich ständig verzählte. Jetzt gerade braucht Dolors aber nicht zu zählen, weshalb sie versuchen will, den Knoten allein zu lösen. Schließlich sieht sie seit ihrer Augenoperation hervorragend, auf jeden Fall besser als zum Beispiel Jofre, der ohne Brille blind wie ein Maulwurf ist.
Antoni und sie hatten sich in der Fabrik kennengelernt, ihrem Lebensmittelpunkt, wo für Dolors alle wie eine große Familie waren: Die Besitzer der Fabrik waren die Eltern, der Direktor das Kindermädchen und die Arbeiter die herumwuselnden Kleinen. Dolors’ Vater hatte die Rolle des Kindermädchens innegehabt, denn er war der Direktor der Fabrik gewesen. Mit dem Nachwuchs der Fabrikanten, das heißt Eduard und seinen jüngeren Geschwistern, hatte sie ihre Kindheit spielend im kleinen Garten neben der Fabrik verbracht. Damals – noch vor dem Tod ihrer Mutter und lange, bevor man sie ins Nonneninternat steckte – konnte sie Eduard nicht ausstehen, sie fand, dass er ein eitler Fatzkewar, weil er nie beim Fangen mitspielen wollte, um nicht hinzufallen und sich schmutzig zu machen. Er spielte nur bei ruhigen Spielen mit und lachte zudem nie.
Antoni lernte Dolors erst viel später kennen, als sie bereits ein gebildetes Fräulein war, das etwas von Literatur, Nähen und klassischer Musik verstand und darüber hinaus sogar Französisch sprach. Zu jener Zeit hätte sie wer weiß was dafür geben, studieren zu dürfen, sie war unheimlich wissbegierig gewesen und von allem, was mit Literatur und Philosophie zu tun hatte, geradezu besessen. Natürlich hatte sie ihren Vater angefleht, es ihr zu erlauben, doch der hatte ihr den Wunsch rundweg abgeschlagen mit der Begründung, dass sie eine Frau sei und dafür schon genug gelernt habe. Wenn sie ihre Bildung unbedingt noch vertiefen wolle, solle sie halt Bücher lesen, in denen sei das ganze Wissen der Menschheit zu finden. Und in diesem Punkt hatte ihr Vater tatsächlich recht gehabt: Aus Büchern hatte sie in ihrem Leben wirklich sehr viel gelernt.
Mit den Jahren war Dolors auch klar geworden, dass er ihre Rückkehr aus dem Mädchenpensionat sehnlichst erwartet hatte, weil er nach dem Tod der Mutter eine Frau im Haus brauchte. Statt zur Universität zu gehen, hatte Dolors also das Regiment über die Dienstmädchen übernommen, ja sie hatte eine Zeitlang sogar Gefallen daran gefunden, selbst wenn sie der einen oder anderen helfen musste, den Nachstellungen ihres Vaters zu entkommen. An den Nachmittagen war sie jedoch regelmäßig in die Bücherei der Fabrik gegangen. Mit der Zeit blieb sie immer länger dort, bis in die frühen Abendstunden – und irgendwann lernte sie so dann Antoni kennen.
Die Mütze in der Hand, hatte er sie eines Tages angesprochen:Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein, aber sind Sie nicht die Tochter des Fabrikdirektors? Dolors hatte nur genickt, worauf Antoni mit hochrotem Kopf stammelte: Ich … ich habe Sie schon oft hier gesehen, anscheinend … mögen Sie Bücher … Und dann hatte er seinen ganzen Mut zusammengenommen und ihr in die Augen gesehen. Setzen Sie sich doch bitte zu mir, hatte Dolors erwidert, Sie lieben die Bücher auch, nicht wahr?
Danach hatten sie sich über Literatur und Philosophie unterhalten, so wie Jofre es nun vermutlich mit dieser Mònica aus seinem Gymnasium tut – sofern sie wirklich seine Kollegin ist. Antoni kann man natürlich nicht mit diesem
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