Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
Windhund von Jofre vergleichen, denn auch wenn ihr Schwiegersohn inzwischen kurze Haare hat, heißt das noch lange nicht, dass er sich mit den Jahren auch gebessert hat. Lump oder Gentleman bist du von der Wiege an, und in welcher Wiege Jofre gelegen hat, ist spätestens jetzt wohl offensichtlich. Was die Männer betrifft, hat diese Mònica jedenfalls einen wirklich schlechten Geschmack. Und Leonor ebenfalls. Aber ihre Jüngste ist und bleibt nun mal eine dumme Gans, selbst wenn es ganz danach aussieht, als machte sie sich neuerdings ein paar Gedanken. Möglicherweise ist sie ja deshalb auch so abgespannt: Denken macht nun mal müde, und man bekommt davon Falten und Ringe unter den Augen.
Geschafft. Der Knoten ist auf. Jetzt kann sie weitermachen. Sacht streichen ihre runzeligen Hände über das Gestrickte, wie weich die Wolle doch ist … Heute kann sie jedenfalls ziemlich lange stricken, denn Sandra wird erst spät nach Hause kommen, sie hat Nachmittagsunterricht, zumindest hat sie das behauptet, denn vielleicht istsie in diesem Moment ja auch bei ihrem Romeo, der dafür sorgt, dass ihre Wangen von morgens bis abends rot glühen. Wenn man sechzehn Jahre alt ist und Eltern hat wie Jofre und Leonor, muss man vermutlich eine Menge Lügengeschichten erfinden, denn keiner von beiden hat auch nur das geringste Verständnis: er, weil er trotz Nietzsche, Marx und Russell nicht weiß, was eine Jugendliche in dem Alter wirklich braucht, und sie, weil sie seit neuestem blind und taub oder autistisch oder sonst was in der Art ist, was sie daran hindert, irgendwas von dem zu begreifen, was um sie herum vor sich geht.
Herr im Himmel, was für eine dämliche Tochter hast du mir bloß geschenkt, beklagt sich Dolors in Gedanken. Doch zumindest hat ihre Idee mit dem Pullover dazu geführt, dass Leonor das wahre Problem ihrer Tochter zu Bewusstsein gekommen ist – wenn auch leider nur kurz. Als sie auf Dolors’ Bitte hin vor vier Tagen unter einem Vorwand bei Sandra Maß genommen hat, da, und erst da, oh Wunder, hat sie bemerkt, dass ihre Körpermaße wirklich lächerlich sind.
Wie kann es sein, dass du so dünn bist?, hatte sie ihr Kind besorgt gefragt. Ich bin nicht dünn, war Sandras schnippische Antwort gewesen. Bist du doch! Zu gern hätte Dolors da ins gleiche Horn gestoßen und hatte deshalb eifrig genickt, doch wie so üblich beachtete sie in ihrer Ecke keiner. Schau dich doch mal an, Kind, man kann bei dir sämtliche Rippen zählen, isst du denn nichts? Worauf Dolors heftig den Kopf geschüttelt hatte, aber auch dieses Mal merkte es Leonor nicht. Deshalb hatte sie versucht, ihre Aufmerksamkeit mit irgendeinem Laut auf sich zu ziehen, was allerdings vergebens war, schrie Sandra in diesem Momentdoch: Natürlich esse ich!, sodass das bisschen Luft, das an Dolors’ Stimmbändern vorbeistrich, im Schrei des Mädchens unterging. Von wegen, nichts isst sie!, hätte Dolors zu gern widersprochen, Sandra steckt sich ein Grissini in den Mund und glaubt, damit gefrühstückt zu haben, mittags verdrückt sie gerade mal einen Salat, und abends, bevor ihr nach Hause kommt, löffelt sie einen Magerjoghurt und behauptet dann, schon gegessen zu haben und satt zu sein. Und das ist alles, Leonor, sie isst wie ein Spatz.
Dolors hatte es ihrer Tochter danach aufgeschrieben, obwohl ihr das Schreiben schwerfällt, denn es erfordert von ihr ungeheure Konzentration, und zudem zittert ihre rechte Hand. Sag Sandra aber nicht, dass du das von mir weißt!, stand auf dem Zettel ganz am Schluss. Denn wenn sie das erfährt, wird sie auf Dolors sehr böse sein, und das wäre ihr gar nicht recht, Sandra übersät sie nämlich immer mit Küssen, sie ist unheimlich liebevoll. Was willst du damit sagen, dass sie isst wie ein Spatz?, hatte Leonor sie danach gefragt, worauf Dolors mit aufgeregten Gesten und ein paar kehligen Lauten versuchte, es ihr noch genauer zu erklären, sodass Leonor, die wahrscheinlich nichts davon verstand, schließlich Mitleid mit ihr hatte und meinte, schon gut, Mama, von nun an habe ich ein Auge darauf.
Am Samstag passte sie dann auch tatsächlich auf: Sie stellte ihrer Tochter einen Teller Nudeln hin, den Sandra auch anstandslos verdrückte. Danach tat sie ihr allerdings noch ein Steak auf, was Sandra laut stöhnen ließ: Ich kann nicht mehr. Doch Leonor ließ sich nicht erweichen, und so schrie Sandra los: Mensch, Mama, du hast mir den Teller mit Makkaroni vollgeladen, den ich ratzekahl leergegessen habe, weil ich dachte,
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