Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
genauestens unter die Lupe, und diese neumodischen Puppen sind ihrer Meinung nach nun mal nicht pädagogisch wertvoll, hatte Leonor erklärt, wobei man deutlich hörte, dass sie insgeheim ganz anderer Meinung war.
Während sie nun das sonnengelbe Garn um ihren Zeigefinger wickelt, mit dem sie laut Anleitung zwei Reihen stricken soll, denkt Dolors, dass genau dies nun womöglich eines der Lieblingsthemen von Jofre und dieser Ich-dich-auch-Mònica ist, über das sie zwischen zwei Unterrichtsstundenheimlich in irgendeiner Ecke debattieren. Mit jedem Menschen hat man nun mal ein bevorzugtes Gesprächsthema. Je nachdem, auf wen man trifft, spricht man mit ihm über dies oder das und stimmt ihm bei manchen Dingen sogar zu; doch sollte man sich dabei nie selbst verleugnen, wie dies solche Chamäleons wie Jofre tun.
Doch ist es natürlich wichtig, gemeinsame Interessen zu finden, die über alles Trennende hinweg verbinden. Martí beispielsweise diskutiert mit Dani gern lebhaft über Musik. Der Freund ihres Enkels ist Musiker, und oft setzen sich die beiden vor den Computer. So wie auch an diesem Nachmittag, an dem sie Danis Musik in Martís Computer füllen wollen, wie Dolors aus ein paar aufgeschnappten Sätzen folgert. Offenbar hat Dani irgendein … wie nannte er es noch gleich? … Ah, ja, Programm mitgebracht, das wahre Wunder vollbringen kann und das, als größtes aller Wunder, Noten in die mysteriöse Kiste steckt, die man auf dem Bildschirm danach hin und her schieben kann. Nur: Was macht dann das Kätzchen, ihr Fèlix? Der läuft doch auch da rum! Viel versteht Dolors ja nicht von Musik, doch stellt sie sich nun vor, wie es vergeblich versucht, mit einem Sprung einen der Notenschlüssel zu erhaschen. Hör auf, der Notenschlüssel ist doch viel zu groß für dich, warum versuchst du nicht, ein Kreuz oder ein b zu fangen, die sind viel kleiner: Ja, das würde sie zu dem kleinen Fèlix sagen, wenn sie jetzt vor dem Computer säße, wie Martí und sein Freund. Aber sie kommt leider nur noch schwer von ihrem Sessel auf und kann deshalb nicht in das kleine Arbeitszimmer schlurfen, wo sich jeder in der Familie irgendwann im Laufe des Tages vor den Computer setzt, um Kontakt aufzunehmen … ach nein, um online zu gehen, sagen sie jadazu. Sie gehen also online und sprechen dann laut mit irgendwem, der auch irgendwo an einer ähnlichen Maschine sitzen muss. Es ist schon etwas her, dass Martí es ihr erklärte, so kompliziert ist das nicht, Oma, stell dich nicht so an, du bist doch nicht dumm, zu skypen ist genau so, wie wenn man mit jemandem telefoniert, der sich am anderen Ende der Welt befindet, aber es ist viel günstiger.
Als sie noch sprechen konnte und er sie jede Woche in ihrer Wohnung besuchen kam, hatte Dolors ihren Enkel mit jeder Menge Fragen zur Kommunikation per Internet gelöchert. Äußerlich ist Martí Leonor ja sehr ähnlich, aber er ist zweifelsohne klüger. Sein Freund Dani, der ihn seit ein paar Monaten regelmäßig besuchen kommt, ist um einiges älter als er. Er spielt Klavier und komponiert, wenn sie das an dem Tag, als Martí ihn ihr vorstellte, richtig verstanden hat. Kennengelernt haben sie sich an der Universität in einem Kurs für angewandte Informatik, den sowohl Musik- als auch Informatikstudenten besuchten, und dort haben sie wohl auch festgestellt, dass sie gemeinsam eine Menge auf die Beine stellen können, denn seither kommt Dani jede Woche ein paarmal. Wenn sie vor dem Computer sitzen, ist es fast so, als wäre keiner da, selbst Dolors existiert nicht mehr für sie, so sehr sind sie in ihre Arbeit vertieft. Sie hört sie reden, tippen, diskutieren, ein paar Töne anstimmen, und dann wieder reden oder tippen.
Du liebe Güte, wie sich die Dinge ändern. Und was Sandra bloß für lächerlich schmale Hüften hat! Die Reihen haben unheimlich wenige Maschen, ruck, zuck ist wieder eine gestrickt, und das, obwohl das Muster, das sie ausgesucht hat, durchaus nicht einfach ist und sie mit drei Wollknäueln zugange ist. In Dolors’ Jugend, ja, da bedeutete es viel, einpaar anständige Hüften zu haben. Natürlich musste man auch wissen, wie man sich damit zu bewegen hatte, aber das beherrschte sie aus dem Effeff. Nur leider konnte sie es vor Antoni kaum zeigen, denn sie trafen sich ja ausschließlich in der Bücherei. Diese Situation war allerdings fast unerträglich, denn seit dem Tag, an dem sie ihr Herz an ihn verloren hatte, sah sie sich außerstande, sich auf irgendwelche
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