Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
übel und erwiderte erzürnt, man müsse sich nun mal in die Gesellschaft einfügen, in der man lebe, und dass nur sie das nicht tue, weil sie ein Mannweib sei. Damals dachte Dolors, ihre Älteste und ihr Schwiegersohn würden handgreiflich werden. Zum Glück waren Martí und Sandra nicht zugegen, die waren seinerzeit noch klein und hätten nichts verstanden. Allerdings war Leonor dabei, die ein erschrockenes Gesicht machte und nicht wusste, wohin sie blicken und was sie tun sollte, sodass sie selbst, Dolors, es war, die zu guter Letzt ein Machtwort sprach: Jetzt ist es aber genug! Wenn ihr euch an die Gurgel springen wollt, geht raus, in meinem Haus wird nicht gestritten! Schlagartig verstummten sie, und da die beiden noch am Leben sind, hatten sie sich damals wohl doch nicht umgebracht. Doch ihre Freundschaft endete mit jenem Tag. Und seither haben sie nur noch das Nötigste miteinander gesprochen.
Jesus, Maria und Josef, wie laut die beiden sind! Was fürein Glück, dass nur sie zu Hause ist; so zu tun, als würde sie nichts hören, fiele ihr nämlich sehr schwer, zumal Martí der Einzige ist, der sie nicht für taub hält. Wie die beiden stöhnen, Dolors macht es ganz nervös, sodass ihr plötzlich eine Stricknadel runterfällt, doch ist das Klirren auf den Fliesen natürlich nichts im Vergleich zu Martís und Danis Spektakel. Jetzt wird sie sich bücken müssen, um sie aufzuheben, doch dummerweise hat die blöde Nadel die gleiche graue Farbe wie die Fliesen. Dolors beugt sich nach vorn. Genau an dieser Stelle hat es doch unter ihren Füßen geklappert, sie hat es genau gehört. Aber die Nadel ist nirgends zu entdecken. Auweia, jetzt verliert sie beinahe auch noch das Gleichgewicht, so alt zu sein ist manchmal wirklich ein Elend; es wäre ja in Ordnung, wenn sie noch sprechen könnte, denn so innerlich gefestigt wie mit fünfundachtzig ist man nicht mit sechzig und schon gar nicht mit vierzig. Wo ist nur die Nadel hin? Sie muss sich wohl noch ein bisschen mehr hinunterbeugen, mit fünfundachtzig sieht man das Leben endlich so, wie es ist, bloß hat man dann leider nicht mehr die Kraft, ihm die Stirn zu bieten, geschweige denn die Stimme, um andere dazu zu ermuntern …
Herrje! Jetzt ist sie doch vornüber auf die Knie gefallen. Gott sei Dank hat sie sich nicht übermäßig wehgetan, ihre Hände, die nach der Nadel tasteten, haben Schlimmeres verhindert. Möglicherweise bekommt sie ein paar blaue Flecken an den Knien, doch jede andere alte Frau hätte sich dabei den Oberschenkelhals gebrochen. Nur sie nicht, nein, der Arzt im Krankenhaus hatte es ihr ja gesagt, Sie haben ungewöhnlich starke Knochen, Senyora, was gäbe ich drum, in Ihrem Alter noch eine solche Konstitution zu haben, Sie wirken so robust und haben keinerlei Zipperlein, der Arztwar wirklich wundervoll gewesen und hatte sich die allergrößte Mühe gegeben, sie aufzumuntern. Ansonsten behandeln sie ja alle wie ein Kind, außer Martí natürlich, aber der hat jetzt zu tun, und wie!, das ist wirklich ungeheuerlich. Offensichtlich hat er ihren Sturz nicht gehört und wird sie sicher auch nicht hören, bis ihr zügelloses Spiel der Leidenschaft zu Ende ist. Unterdessen bleibt Dolors eben, wo sie ist, denn ans Aufstehen ist ja nicht zu denken … obwohl … vielleicht ja doch? Zumindest könnte sie es probieren. Aber zuerst sollte sie die Stricknadel suchen. Ah, jetzt sieht sie sie, vom Boden aus ist sie viel leichter zu erkennen. Sobald sie sie in den Fingern hat, will sie versuchen, auf die Füße zu kommen. Mit beiden Händen klammert sie sich an den Sessel, mal sehen, leider tut ihr das Bein noch weh von dem Gerinnsel, das sich danach zu ihrem Gehirn aufmachte, wo es in irgendeiner Ader hängen blieb.
Na los, Dolors, spornt sie sich selbst nun an, na los, Dolors, so wie an jenem Tag, als sie zu Antoni ging, dem ersten, dem so viele folgen sollten, sie spielte mit dem Feuer und wusste es genau. Doch eben das macht nun mal die Jugend aus: das Spiel mit dem Feuer, auch auf die Gefahr hin, dass man sich dabei die Finger verbrennt; dass man alles auf eine Karte setzt und sämtliche Sinnesfreuden kostet, damit man später auswählen kann, was man für sein Leben gern behalten will. Ja, so ist das mit der Jugend, und trotzdem war es ganz schön waghalsig, das zu tun, was sie da tat, so kurz nach Kriegsende waren die Zeiten eigentlich nicht danach.
Mit einem Korb machte sie sich auf den Weg, als wollte sie einkaufen gehen. Guten Abend, Senyoreta
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