Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
Philosophen oder Schriftsteller zu konzentrieren. Sie redeten und redeten, mit roten Köpfen, über Berkeley, den heiligen Augustinus, Hugo und Cervantes, aber eigentlich reichte ihnen das längst nicht mehr. In jeder Liebe gibt es einen Punkt, an dem sie entweder intensiver wird oder definitiv ein Ende findet.
Beiden war schmerzlich bewusst, dass sie nicht wie Freunde oder ein normales Pärchen durch die Straßen flanieren konnten, denn das hätte Dolors’ Vater sicher sofort unterbunden. Er war durchaus kein schlechter Vater, ihr Herr Papa, und er wollte für seine Tochter sicher nur das Beste. Doch wie bei Jofres Reaktion auf Sandras Wunsch nach einer Barbie waren damals in den führenden Kreisen bestimmte Dinge schmählich, und eine Liebesbeziehung mit jemandem aus der Unterschicht gehörte sich nicht. Aber du bist doch selbst hinter den Dienstmädchen her!, warf sie ihm einmal vor, doch ihr Vater ließ das nicht gelten: Dies geschieht nicht in aller Öffentlichkeit, sondern in den eigenen vier Wänden, und das geht niemanden etwas an. Und außerdem bin ich ein Mann, fügte er hinzu, und Arbeiter sind zudem ganz anders als wir, und mit dem Denken ist es bei denen sowieso nicht weit her.
Antoni dachte jedoch viel. Fräulein Dolors, ich hatte gedacht, dass …, er schwitzte und tat Dolors leid, na los,sagen Sie, was Sie gedacht haben, Senyor Antoni, ich bin sicher, Ihr Gedanke gefällt mir. Der junge Mann schluckte, gab sich dann aber einen Ruck: Nun, ich habe gedacht … ich habe gedacht, dass ich Ihnen vielleicht irgendwann die Bücher zeigen könnte, die ich zu Hause habe … natürlich nur, wenn es Sie interessieren sollte. Die letzten Worte hatte er bloß noch gehaucht. Natürlich interessiert mich das, hatte Dolors lächelnd entgegnet, durchaus bewusst, soeben zu seinem Liebeswerben Ja gesagt zu haben.
Was wird das nur für ein winziger Pullover, damit wird sie in Windeseile fertig sein … Dolors hält das Stück des Vorderteils, das sie schon gestrickt hat, vor sich hin. Für sich selbst bräuchte sie mindestens die doppelte Breite, das hier würde bei ihr gerade mal für einen Ärmel reichen. Doch Leonor ist ja nicht davon abzubringen, dass ihre Tochter eben nur schmal gebaut sei. Und das bloß, weil das Kind am Samstag einen Teller Nudeln und am Sonntag einen Teller Paella isst. Und an den übrigen Wochentagen, was ist da? Von Montag bis Freitag zählt es wohl nicht, ob sie sich gut ernährt, denn Leonor sieht es nicht, und was man nicht weiß, macht einen bekanntlich ja nicht heiß.
Sandra schwebt derweil mit ihrem Jaume auf Wolke sieben, man sieht’s ihr an der Nasenspitze an, dass sie mit ihm ins Paradies der Lüste vorgedrungen ist, dass sie wie jeder junge Mensch in diesem Zustand Kopf, Herz und Körper nicht mehr auseinanderhalten kann und Sinne, Gefühle und Verstand eins sind. Selbstverständlich merken Leonor und Jofre nichts davon: Leonor, weil sie mit ihren Gedanken ganz woanders ist, und Jofre, weil er sowieso nichts anderes als sich selber sieht.
»Hast du gesehen? Es geht doch …«
»Ja, du hattest recht.«
»Sag mal, stört es dich eigentlich nicht, dass diese Katze immer über den Bildschirm läuft?«
»Nein, gar nicht. Und lösch sie bitte nicht, meine Oma hat sie nämlich unheimlich gern.«
Martí und sein Freund haben ihre unverständliche, mit technischen Fachausdrücken gespickte Diskussion beendet, anscheinend haben sie für heute Schluss gemacht, und da hat ihr Enkel wieder an sie gedacht. Dolors ist gerührt, und ihre Augen werden feucht. Es ist eine Sache, wenn man an dich denkt, weil du dir allein nicht mehr zu helfen weißt, und man dich bei sich aufnimmt und für dich sorgt, was auch schon ganz schön viel ist. Doch es ist noch etwas ganz anderes, wenn einer darüber hinaus auch noch so aufmerksam ist wie Martí, der achtgibt, dass ja keiner das Kätzchen verschwinden lässt, mit dem sie gelegentlich spielt, wenn er es ihr erlaubt und wenn der Computer frei ist und wenn ihn auch kein anderer gerade braucht. Martí ist feinfühlend, rücksichtsvoll, einfach wunderbar.
»Du bist wirklich ein Schatz. Danke.«
Dani hat sich bei Martí in einem eigentümlichen Tonfall bedankt. Martís Freund ist wirklich nett. Doch jetzt ist Stille eingekehrt, und Dolors spürt instinktiv, dass da etwas vor sich geht, das sie weder hören noch sehen kann. Kein Tippen oder Debattieren mehr, bloß leise, vage Geräusche, die Dolors nicht so recht zu definieren vermag
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