Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
Hoffentlich führt er Martí nicht an der Nase herum oder wird seiner bald überdrüssig; Gott möge verhüten, dass ihr Liebling binnen kurzem den ersten Korb bekommt!
In ihrem Korb lag eine Handvoll Kastanien, die sie auf dem Pfad zu seinem Häuschen aufgelesen hatte, und Antoni stand da und starrte fasziniert hinein. Möchten Sie welche? Sollen wir sie im Herd rösten?, hatte Dolors ihn hastig gefragt. Nein, nein!, wehrte er erschrocken ab. Er war sorgfältig rasiert und tadellos gekleidet, treten Sie bitte näher, mein Haus ist leider nicht so komfortabel wie das Ihre, erklärte er nervös, aber das sehen Sie ja selbst. Doch ich habe Bücher, kommen Sie, und Dolors folgte ihm durch einen kleinen, nur mit einer flackernden Glühbirne erhellten Flur. Ich habe zwei Zimmer, sagte er schließlich, eins, in dem ich schlafe, und eins für meine Bücher, kommen Sie, treten Sie ein.
Im Bücherzimmer gab es so viele Bücher, dass Dolors ein entzückter Schrei entfuhr. Antoni schwoll vor Stolz sichtlich die Brust, als er ihr seine wohlgeordnete Sammlung zeigte, die Regale habe ich selbst mit Abfallholz aus der Fabrik gezimmert, Ihr Herr Papa hat es mir großzügig überlassen. Dolors spürte, wie die Regale ihren Blick, ihr Herz und ihre Seele in ihren Bann zogen, wo haben Sie bloß all die Bücher her? Sie sollten verbrannt werden, da habe ich sie gerettet, erklärte Antoni lächelnd, wissen Sie, das sind allesamt verbotene Bücher, die zeige ich sonst niemandem. Eine arglose innere Stimme veranlasste Dolors zu der Frage: Wieso sollten die denn verbrannt werden? Worauf Antoni erneut lächelte, diesmal jedoch mit Nachsicht, weil es dem Franco-Regime zufolge Bücher gibt, die einen angeblich sittlich und moralisch verderben oder die von Dingen handeln, die man nicht wissen soll. Es schien, als zögerte er einen Moment, dann seufzte er und blickte sie an. Ich vertraue Ihnen noch ein viel größeres Geheimnis an: Die Bücher hier haben früher alle in der Bücherei der Fabrik gestanden. Da riss Dolors vor Staunen die Augen auf, stellte den Korb mit den Kastanien auf dem Boden ab und trat zu den Regalen.
Die Bücherei war im Grunde nur eine im Anbau der Fabrik gelegene größere Kammer, in der einige Bücherregale und ein paar Tische standen, an denen man lesen konnte. Sie hätten dem früheren Direktor gehört, der die Fabrik vor dem Krieg geleitet habe, erklärte Antoni, einem sehr gebildeten Mann. Er fiel im Krieg, und in seinem Testament stand dann geschrieben, dass er sie mitsamt den Büchern den Arbeitern hinterlasse, denn in den Büchern liege die Kultur und in der Kultur die Freiheit. Ich dachte, Sie wüssten das längst, schloss Antoni, als er ihr Erstaunen sah.Nein, davon hat mir keiner je was erzählt, hatte Dolors entgegnet und dachte im Geheimen, dass ihr Vater wohl genug damit zu tun hatte, den Dienstmädchen nachzustellen, um auch noch Interesse für Bücher zu zeigen.
An diesem Abend tauchte Dolors ein in ein Meer von Literatur und blätterte in Büchern katalanischer Autoren, die ins Exil fliehen mussten oder nicht in ihrer Sprache schreiben durften, sie entdeckte Hume, Kant, Wilde, Freud und Lorca … Sie bemerkte nicht einmal, dass Antoni sie erst lächelnd beobachtete und dann alleine ließ. Nach einer Weile kam er zurück und sagte zu ihr: Senyoreta Dolors, Sie sind schon eine gute Stunde hier, womöglich lässt Ihr Vater Sie bereits suchen. Voller Entsetzen war sie aufgesprungen, du lieber Gott, sie musste schleunigst gehen, doch vorher fragte sie begierig: Darf ich wiederkommen? Gleich morgen, wenn Sie wollen, antwortete Antoni erfreut. Morgen, wiederholte sie, und dann tat sie etwas, von dem sie bis heute nicht versteht, wie sie dazu in Anbetracht der damaligen Umstände den Mut aufbrachte: Zum Abschied küsste sie Antoni sanft auf die Wange.
Noch heute, hier in ihrem Sessel, das Strickzeug in den Händen, muss Dolors sich über sich selbst wundern: Dass sie sich das getraut hat! Das war wirklich tollkühn von ihr gewesen, und das bloß zwei, drei Büchern wegen. Doch Literatur, Philosophie, all die Geisteswissenschaften hatten sie immer magnetisch angezogen, was Eduard unglaublich ärgerte. Er schimpfte mit ihr, weil sie seiner Meinung nach zu viel las; dass sie las und nicht an seinen Lippen hing und für ihn da war, wie er das gern gehabt hätte, das erboste ihn. Das war damals, zu der Zeit, als sie nur Augen für ihre Töchter und ihren Ehemann hatte, als sie älter war als jetzt,später
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