Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
ist schon in aller Munde: Das war der Schlüsselsatz, alles andere war nicht so wichtig. Damit war die Katze aus dem Sack. Dolors streckte die Waffen und wappnete sich für die bevorstehende Auseinandersetzung. Ich liebe ihn, Papa, sagte sie. Du weißt doch gar nicht, was das ist, knurrte der Vater wütend, was weißt du schon vom Leben, du bist vom rechten Weg abgekommen, Dolors. Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt, erwiderte sie, als ob sie das gegen jeglichen Vorwurf schützen könnte. Ihr Vater kochte vor Wut: Und wenn du vierzig wärst, das ist mir gleich! Du bist die Tochter des Direktors und hast dich dementsprechend zu benehmen, du kannst dich nicht mit einem Arbeiter einlassen, habe ich dich nicht gelehrt, dass sie anders sind als wir, habe ich dir nichts über das Leben beigebracht?! Nein, lag es Dolors auf der Zunge, doch sie schwieg erneut. Und was ist mit Eduard? Eduard? Was soll mit Eduard sein?, fragte Dolors mit aufrichtiger Verwunderung. Hast du Eduard nicht die Ehe versprochen? Nein, hab ich nicht, wie kommst du darauf?, entgegnete Dolors zornig. Ach, und wieso dann all die Sonntagnachmittage bei seinen Eltern, das Tennisspielen und so weiter? So benimmt man sich, wenn man verlobt ist, man vergnügt sich nicht mit irgendeinem Dahergelaufenen. Es ist wirklich nicht zu fassen, Kind, was, glaubst du, wird Eduard sagen, wenn er erfährt, dass du keine Jungfrau mehr bist?
Verliebt sich heutzutage ein Mann in eine Frau, die mitsechsundzwanzig noch Jungfrau ist, kommt er mit Sicherheit auf komische Gedanken und sagt sich, dass es nicht sein kann, dass sie noch nichts von den Freuden des Lebens weiß. Sandra ist mit ihren sechzehn Jahren jedenfalls keine Jungfrau mehr, und nach den Geräuschen zu urteilen, wie sie sich beim ersten Mal mit diesem Jaume amüsiert hat, war auch nicht er es, der sie entjungfert hat. Du lieber Himmel, wie haben die Zeiten sich geändert.
Doch es gibt Dinge, die ändern sich nie. Gefühle etwa. Vielleicht waren sie früher unschuldiger, naiver, doch es waren genau die gleichen. Ich bin nicht mit Eduard verlobt, wir sind nur Freunde und sonst nichts. Da hatte sich ihr Vater noch mehr aufgeregt: Freunde?! Du kannst doch nicht die Freundin eines Mannes sein und dich gleichzeitig mit einem anderen vergnügen! Und überhaupt: Du hast dich niemandem hinzugeben, bevor du nicht verheiratet bist, und erst recht nicht einem Arbeiter. Ihr Vater holte Luft und schüttelte dann den Kopf, wie besiegt, ach, Kind, du hast nicht nur dich selbst vom Weg abgebracht, sondern auch mich zum Gespött aller Leute gemacht.
Ah, die Wohnungstür! Sandra kommt zurück. Während Dolors hastig ihr Strickzeug in die Tüte packt, zieht Sandra den Mantel aus und verbringt dann wie immer eine geraume Weile vor dem Spiegel. Dolors kann sie von ihrem Sessel aus gut beobachten, sie betrachtet ihr Profil und dann ihren Hintern. Dabei zieht sie den nicht vorhandenen Bauch ein, sodass ihre Rippen hervortreten. Dolors würde jetzt am liebsten ihre Tochter herbeirufen, Leonor, schau dir jetzt mal deine Tochter an und behaupte, sie sei gut genährt! Deine Tochter ist doch bloß noch eine Viertel Portion, das Kind besteht ja fast nur noch aus Haut undKnochen, natürlich hat sie so eine Taille, wie es auf dem Zettel steht, Herrschaftszeiten, Leonor, wie ist es möglich, dass du das nicht bemerkst!
Bei den Eltern fällt der Groschen leider immer zuletzt, bevor später dann die Ehemänner und Ehefrauen die Rolle des Spätzünders übernehmen. Ich werde Antoni heiraten, Papa, verkündete Dolors mit einem geradezu törichten Mut, den ihr ihre tiefen Gefühle verliehen. Da brach der Vater in höhnisches Gelächter aus, ein Gelächter, das sie zutiefst verletzte und mit dem Ausruf endete: Das will ich nicht noch mal hören, Dolors! Und ich sag dir eins: Wenn du nicht am Hungertuch nagen willst, tust du gut daran, Eduard und nicht Antoni zu heiraten. Noch einmal sprach der Mut der Liebe aus ihr: Antoni ist kein Hungerleider, und mir macht es nichts aus, wie eine Arbeiterin zu leben! Das hat mir ja gerade noch gefehlt, am Ende habe ich noch eine streikende Tochter!, wetterte da ihr Vater, erhob sich von seinem Sessel und kam langsam auf Dolors zu, um ihr das Ende dieses ersten Akts zu verkünden: Er ist fort, dein Antoni, sicher ist er längst über alle Berge. Gestern habe ich ihn gefeuert.
Jofre ist endlich nach Hause gekommen. Nun sind alle daheim. Gerade ist Leonor aus dem Arbeitszimmer gekommen, und Dolors hat sie kurz zu
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