Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
einmal. Ich wollte studieren, Papa, weißt du noch? Doch der Vater war müde und stellte noch nicht einmal den Dienstmädchen nach, weil ihm schlichtweg die Kraft dazu fehlte. So ein Unsinn, Dolors, meinte er nur. Es verletzte sie ziemlich, auch wenn sie verstand, dass ihr Wunsch unter den gegebenen Umständen ein wenig aberwitzig anmutete, doch die Zeit zog ungenutzt ins Land, und das Studium rückte immer mehr in weite Ferne. Ich rede keinen Unsinn, widersprach sie deshalb vehement, du hast gesagt, wir würden nach dem Krieg noch mal darüber reden, und der Krieg ist nun aus, seit einem Jahr schon, Papa. Doch er ließ sich durch nichts erweichen und erklärte ihr dann das mit der Bücherei, wohin sie gehen könne, wann sie wolle.
Sandra redet immer davon, dass sie Schauspielerin werden will. Anscheinend gibt es eine weiterführende Schule,ein Institut oder so etwas Ähnliches dafür, doch bis zum Abitur hat sie noch zwei Jahre, und so, wie sie derzeit in den Wolken schwebt, fällt ihr das Lernen gerade nicht besonders leicht. Früher, in Dolors’ Jugend, da waren Schauspielerinnen noch ein Menschenschlag für sich und mussten dafür keine Schule besuchen. Man war dafür geboren oder eben nicht. Und Schauspielerin wurde nicht irgendwer, nein, Schauspielerinnen waren allesamt Huren und nicht Frauen wie Dolors aus gutem Hause. Wenn eine Schauspielerin war, nahmen alle an, dass sie ein freies, um nicht zu sagen anrüchiges, skandalöses Leben führte.
Wie schnell sich Menschen doch entrüsten; sobald irgendwas von der herrschenden Norm abweicht, bietet es Anlass zum Skandal. Man hat dich ins Haus eines Arbeiters gehen sehen. Es war eine lapidare Feststellung, die ihr Vater da von seinem Lehnstuhl aus verkündete. Sie traf Dolors völlig unvorbereitet, als sie eines Tages mit dem Dienstmädchen vom Einkaufen nach Hause kam. Seine Stimme hatte keinen drohenden Unterton gehabt, doch das war auch nicht nötig, seine Worte erzielten auch so die beabsichtigte Wirkung, die Luft im Zimmer wurde dick und machte ihr das Atmen schwer. Dolors stand wie versteinert da und wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Da hob ihr Vater, der bis zu diesem Moment zu Boden geschaut hatte, den Kopf und sah sie an, und in seinen Augen lag verletzter Vaterstolz.
Und etwas Ähnliches muss nun wohl auch Jofre fühlen, wenn Sandra davon spricht, Schauspielerin werden zu wollen. Zwar ist es durchaus möglich, dass sich ihr Berufswunsch noch einmal ändert, aber sie redet nun bereits seit zwei oder drei Monaten davon. Normalerweise wird übersolch ernste Themen bei Tisch gesprochen, das Schweigegebot aus Dolors’ Jugend gilt ja nicht mehr, und deshalb hatte Sandras Vater, der große Philosoph des Widerstands, neulich Abend den Kopf gehoben, sie fest angesehen und gesagt: Laientheater kannst du so viel spielen, wie du willst. Aber um es im Leben zu etwas zu bringen, braucht man eine anständige Ausbildung. Schauspiel ist eine genauso respektable Ausbildung wie jede andere auch!, hatte Sandra ihn daraufhin angefaucht. Danach war eine furchtbare Stille eingetreten. Nur Martí aß seelenruhig weiter, während Leonor wie ein schreckensstarres Kaninchen in die Runde schaute und Dolors aufmerksam ihre Suppe musterte. Und Jofre? Nun, Jofre spielte mit seiner Brille, wie immer, wenn er überlegt, und schließlich wurde sein Blick ganz weich, und er schaute sie zärtlich an: Du hast vom Leben keine Ahnung, Kind. Ich war genau wie du, mein Kleines, doch zum Glück habe ich etwas Ordentliches studiert, sonst wäre aus mir nichts geworden. Da konnte Dolors nicht mehr länger so tun, als würde sie nichts hören, neugierig sah sie von ihrer Suppe auf und wartete auf Sandras Antwort, die wie aus der Pistole geschossen kam: Aber, Papa, was redest du denn da? Du bist doch nie Schauspieler gewesen. Worauf Dolors so gern zu ihr gesagt hätte: Ach, Sandra, da täuschst du dich aber gewaltig: Dein Vater hat sein Leben lang nichts anderes getan, als allen etwas vorzumachen.
Ihrem eigenen Vater kam damals die Rolle des Scharfrichters zu. Im Gegenlicht konnte sie seine Augen nicht erkennen, und die geschlossenen Gardinen hinter ihm verliehen der Szenerie etwas unheimlich Düsteres. Das Schweigen lastete schwer auf dem Raum, bis Dolors tiefLuft holte und all ihren Mut zusammennahm. Was willst du damit sagen?, fragte sie mit dünnem Stimmchen. Dass du weder spazieren noch Kastanien sammeln gehst, sondern zu ihm, einem Arbeiter! Und es ist schon in aller Munde!
Es
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