Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
Tag im Monat, und seine Baustelle lag so weit weg, dass er fast den ganzen Tag unterwegs war. Dolors’ Stimmung war folglich düster und das Leben fad und schal. Nicht nur, dass kein Mensch mehr mit ihr sprach, sie sehnte sich auch unheimlich nach dem Geliebten, und zudem hatte sie wegen ihres Vaters ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil er das Gespött der Leute erdulden musste und ihm wegen ihres nicht standesgemäßen Liebesverhältnisses vielleicht noch der Rausschmiss drohte.
Drei Monate ging das so. Drei harte Monate, die nur von den drei Tagen erhellt wurden, an denen sie Antoni in der Felsenhöhle in die Arme fiel, während Mireia unten am Strand mit Argusaugen Wache hielt. In diesen wenigen Stunden vergaß Dolors alles um sich herum und fühlteimmer stärker, dass sie diesen Mann brauchte wie die Luft zum Atmen.
»Du solltest langsam dein Strickzeug wegpacken, Mama, Sandra kommt gleich heim.«
In den letzten Tagen hat Leonor sich etwas beruhigt, allem Anschein nach macht sie sich nicht mehr ganz so viele Sorgen wie zuvor. Erst in der vergangenen Woche hat sie Jofre von ihrer Beförderung zur Abteilungsleiterin erzählt, und jetzt packt sie seelenruhig ihren Koffer, um ihren durchtriebenen Chef auf seiner Geschäftsreise nach Deutschland zu begleiten. Hat sie sich mit den Gegebenheiten abgefunden, weil sie keine andere Wahl hat?
Ausgerechnet dich haben sie zur Abteilungsleiterin gemacht? Jofre war aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen. Allerdings; wieso auch nicht?, hatte Leonor gekränkt gezischt, sodass Martí, der vor dem Fernseher saß und mit halbem Ohr zugehört hatte, schnell einhakte, damit es zwischen seinen Eltern nicht zum Streit kam: Das ist phantastisch, Mama! Endlich hat mal einer gemerkt, was du alles drauf hast. Das machst du sicher hervorragend. Völlig geplättet starrten Leonor, Jofre und sogar Dolors ihn eine ganze Weile lang an, bis Leonor ihrem Sohn schließlich ein dankbares Lächeln schenkte. Erfuhr ihre Tochter etwa gerade zum ersten Mal, dass jemand an sie glaubte?, fragte sich da Dolors. War sie selbst vielleicht mit ihrer Jüngsten immer zu hart ins Gericht gegangen? Womöglich hatte sie ihr gar unbewusst die Flügel gestutzt, sodass sie gar nicht herausfinden konnte, wer sie selbst war, womöglich war sie mit einem Minderwertigkeitskomplex aufgewachsen. Bei einem Fabrikdirektor als Vater und einer Mutter, die Philosophie an der Fernuniversität studierte, wäre das keinWunder. Erstmals in ihrem Leben hat Dolors sich da eingestanden, dass sie Leonor vermutlich keine gute Mutter gewesen war, weil sie sich viel mehr um Teresa gekümmert hatte, denn Teresa war der Fremdkörper in der Familie gewesen, während Leonor problemlos und normal heranzuwachsen schien. Diese Erkenntnis zu verdauen hat Dolors einige Tage Kopfzerbrechen bereitet.
Mutter zu werden ändert alles.
Als Dolors merkte, was los war, und sie es nicht mehr länger leugnen konnte, dass sie schwanger war, packte sie das blanke Entsetzen. Erst da wurde ihr nämlich so richtig klar, was für eine Riesendummheit sie die ganze Zeit über begangen hatte – damals gab es ja noch keine Verhütungsmittel, im Gegensatz zu der Zeit, als Leonor Jofre kennenlernte und täglich diese Pillen schluckte. Ach, hätte es die bloß schon zu ihrer Zeit gegeben, seufzt Dolors nun und lässt kurz ihr Strickzeug sinken, wie anders wäre ihr Leben dann verlaufen. Damals malte sie sich aus, wie sie mit dem Kind in Antonis Baubaracke hausen müsste, das arme Kind, unter solch widrigen Umständen zur Welt zu kommen, eine elende Baracke war kein Ort für ein Kind, ihr Kind. Doch was tun?
Und dann ging auf einmal alles sehr schnell: Zwei Tage vor ihrem nächsten Wiedersehen mit Antoni, als sie schon glaubte, ihm mitteilen zu müssen, dass sie zu ihm in die Baracke ziehen werde, erschien Eduard mit dem Ring. Drei Monate der gesellschaftlichen Ächtung waren vorüber, und nach dem angespannten Schweigen rückte nun anscheinend alles wieder an seinen angestammten Platz, so als wäre nie etwas geschehen, so als wäre ein Deus ex Machina mit einer Schaufel erschienen und hätte angesichts des Abgrunds,der sich in ihrem Leben aufgetan hatte, gesagt, na los, lasst uns die unselige Vergangenheit begraben, wenn sich alle ins Zeug legen, ist schon bald nichts mehr davon zu sehen. Und als der Abgrund dann vermeintlich zugedeckt war, da erschien Eduard, um ein paar Blumen darauf zu pflanzen, die alles noch mehr kaschieren würden – nur ahnten sie
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