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Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman

Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman

Titel: Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanca Busquets
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sich gewunken und eifrig auf die Tüte unter ihrem Sessel gezeigt, damit sie weiß, dass alles gut versteckt ist. Leonor hat daraufhin gelächelt, ihre Augen wirken nun nicht mehr verweint, sondern nur so, als wäre sie ein bisschen erkältet. Ihre Jüngste mag ja eine lange Leitung haben, aber auch sie weiß, wie man anderen etwas vormacht, sieh mal einer an.
    Vor ihrem Vater hatte Dolors nicht geweint, danach inihrem Zimmer hatte sie dann aber Rotz und Wasser geheult, bis Mireia irgendwann in der Nacht sachte an die Tür klopfte und ihr leise flüsternd von Antoni ausrichtete, dass sie sich nicht beunruhigen solle. Es geht ihm gut, Senyoreta Dolors, und wenn Sie wollen, könnten Sie ihn morgen Nachmittag bei den Felsen am Meer treffen.
    Es ist gleich Zeit zum Abendessen. Dolors erhebt sich mühsam aus ihrem Sessel und humpelt zum Telefon, wo Zettel sowie Kugelschreiber liegen. »Leonor, ich habe vorhin nicht über dich gelacht. Mir ist etwas von früher eingefallen. Was du gerade mitmachst, finde ich sehr schlimm.« Sie liest es noch mal, streicht »schlimm« und ersetzt es durch »traurig«. Dann bringt sie den Zettel in die Küche, wo Leonor gerade das Abendessen vorbereitet, und drückt ihn ihrer Tochter in die Hand.
    »Ich weiß, Mama, ich weiß   …«
    Unter Tränen lächelnd zerreißt Leonor den Zettel und wirft ihn in den Müll, und dann gibt sie ihrer gebrechlichen Mutter einen Kuss auf die Stirn und sagt, Dolors solle schon mal ins Esszimmer gehen, das Abendessen sei gleich so weit.
    Die Felsen lagen am Ende eines endlosen Sandstrands etwas außerhalb von Barcelona. Im Sommer spielten die Kinder in den zahlreichen Höhlen und Nischen Verstecken. Von der Fabrik aus brauchte Dolors eine gute Dreiviertelstunde. Das Meer war ziemlich ruhig, und weit und breit war niemand zu sehen. Mireia hatte ihr den Weg gezeigt und sollte Wache halten – keine Sorge, Senyoreta, im Falle eines Falles warne ich Sie   –, während Dolors vorsichtig hinauf zu der Höhle kletterte, wo Antoni auf sie wartete und sie sich umarmen konnten. Und dort oben, erstunter Tränen und dann mit hoffnungsfrohen Augen, beschlossen sie zu heiraten und miteinander weit fortzugehen, dorthin, wo niemand etwas gegen ihre Liebe einzuwenden hatte.
    Ach Gottchen, was waren wir doch naiv, denkt Dolors seufzend und setzt sich vor ihren Teller.

Eine Masche pro Reihe
    Eine Woche war Antoni bei Verwandten untergekommen, die ihn selbstverständlich aufnahmen, als sie hörten, dass Antoni gefeuert worden war, weil er sich in die Tochter seines Fabrikdirektors verliebt hatte. Sie wollten ihnen auch gern bei der Arbeits- und Wohnungssuche helfen – so schwierig ist das sicher nicht, Antoni ist ein aufgeweckter Bursche, er ist geschickt und kann alles Mögliche arbeiten, meinten sie   –, doch Antoni wollte es alleine schaffen und Dolors erst nachholen, wenn er ihr auch ein anständiges Leben bieten konnte.
    Schon bald fand er tatsächlich Arbeit auf dem Bau, allerdings weit weg von Barcelona, sodass er in einer feuchten Baracke direkt neben der Baustelle hausen musste. Das ist nur für den Anfang, mein Schatz, tröstete er Dolors, du wirst sehen, ich krieg das hin, wir müssen unsere Hochzeit bloß noch ein Weilchen verschieben.
    Bis zu den Armausschnitten muss sie nun insgesamt acht Maschen zunehmen, und das über acht Reihen, jeweils zu Beginn. Reicht das wirklich? Wahrscheinlich schon, genau wird sie es allerdings erst wissen, wenn sie das Gestrickte nachmessen und mit den Maßen auf dem Zettel vergleichen kann.
    Bei Dolors zu Hause herrschte fortan eisiges Schweigen. Ihr Vater strafte sie mit Nichtachtung, und das Dienstpersonal schlich nur umher und wagte nicht zu mucksen. Auch auf der Straße grüßte sie keiner mehr, und in den Geschäften verstummten die Gespräche, doch kaum schloss sie hinter sich die Ladentür, begann wieder das Getuschel. Selbst Eduard war auf einmal wie vom Erdboden verschluckt, und natürlich blieben auch die Kaffeeeinladungen am Sonntagnachmittag aus, denn ihr Vater hatte sich mit den Fabrikanten gestritten und fürchtete, selbst entlassen zu werden, nun, da der Bund zwischen Eduard und Dolors nicht zustande kam, weil die Tochter des Direktors erwiesenermaßen nicht so sittsam war, wie man das von einer jungen Frau ihres Standes erwarten durfte.
    In dieser Zeit wurden die Felsen am Strand zu ihrer romantischen Fluchtburg, wenngleich jedes Mal mehr Zeit zwischen den Treffen verstrich, denn Antoni hatte nur einen freien

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