Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
sie mit siebzehn schon so ist. Die beiden schulden sich nichts. Dolors lacht auf. Die Welt ist wirklich ein Irrenhaus.
Haltet die Welt an, ich möchte aussteigen, schoss ihr durch den Kopf, wer hat das noch gleich gesagt. Ach, egal, was tut es zur Sache, ob es der eine Denker war oder einanderer. Jetzt ist der Gedanke ja Dolors selbst gekommen. Wie beklemmend, wenn man am eigenen Leib erlebt, was sonst nur im Film passiert. Wenn man halbnackt mit dem Ehemann einer anderen auf frischer Tat ertappt wird. Und das Opfer fassungslos, entgeistert, erstarrt dasteht, nachdem sie die Tür mit den Worten aufgerissen hat: Hallo, Antoni, ich wollte dich abhol…
Dolors und Antoni hatten nichts gehört, für sie kam es wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Offenbar hatten sie vergessen, die Ladentür abzuschließen, sodass Maria die Buchhandlung ohne weiteres betreten konnte. Nur einmal in all den Jahren ihrer Beziehung war Maria gekommen, um Antoni abzuholen, doch da hatte sie vor der Tür gestanden, denn er schloss sonst immer von innen ab. Immer. Als er an jenem Tag hinausgegangen war, um ihr zu öffnen, hatte sich Dolors versteckt, bis die beiden weg waren.
Doch so perfekt und vollendet der menschliche Geist sein mag, er begeht Fehler. Und einen solchen beging Antoni just an jenem Tag, an dem Maria beschlossen hatte, ihn nach Geschäftsschluss abzuholen. Wenn etwas geschehen muss, geschieht es. Und für alles gibt es irgendeinen Grund. Jedenfalls veränderte Antonis Vergesslichkeit an diesem Abend auf einen Schlag das Leben mehrerer Menschen.
Mädchen, belehrt Dolors in Gedanken all diejenigen, die den Mann einer anderen lieben, solltet ihr je
in flagranti
erwischt werden, zieht euch vor allen Dingen etwas über: Es gibt für die Frau eures Liebhabers nichts Schöneres, als allen zu erzählen, dass auch euer Körper nicht perfekt ist. Dolors hatte sich nicht rechtzeitig zudecken können, und so erzählte Maria überall herum, ihr Mann habe sich miteiner Frau eingelassen, bei der schon alles hing. Zum Glück wohnte Dolors nicht im selben Viertel wie sie und zudem in Barcelona und nicht auf dem Land. Anfangs wusste sie natürlich nichts davon, doch irgendwann berichtete Antoni ihr entrüstet davon. Es kränkte Dolors, dass sich vermutlich alle Frauen in der Umgebung des Ladens vorstellten, sie habe unter der Bluse einen Hängebusen, aber insgeheim verstand sie Marias Reaktion, sie war völlig normal. Und sie verstand auch, dass Antonis Frau gerade ihre Brüste ins Auge gefallen waren, denn die Ärmste hatte selbst nicht viel vorzuweisen.
Der Glaube versetzt Berge, aber das tut der Neid auch. Allem Anschein nach hat Mònica die Geduld verloren und zu Jofre gesagt, ja, stimmt, mein Mathelehrer hat einen viel Längeren, und du kannst mich kreuzweise. Dann hat sie vermutlich aufgelegt, denn Jofre hat den Hörer auf die Station geknallt und ist im Schlafzimmer verschwunden, höchstwahrscheinlich vollkommen fassungslos. Weint er vielleicht? Trotz Dolors’ feinem Gehör bekommt sie nichts mit. Jedenfalls muss er zutiefst getroffen sein. Leider ist gerade jetzt nicht gut Kirschen essen mit ihm.
Wie sie dem Pfarrer in die Augen blicken sollte, der Eduards Grabrede hielt, wusste Dolors nicht. Es war ausgerechnet derselbe, bei dem sie ihre Sünde gebeichtet hatte. Der Geistliche war der Einzige, der die Wahrheit kannte und genau wusste, warum sie Rotz und Wasser heulte, alle anderen versuchten hingegen, sie zu trösten, das kann doch jedem passieren, Dolors, du darfst dich nicht schuldig fühlen. Aber sie fühlte sich schuldig, bezichtigte sich vor aller Welt des Mordes und flehte Gott an, er solle den Mann wieder zum Leben erwecken, dessen Tod sie verursachthatte. Sie habe ihn nicht töten wollen, der so viele Jahre gehegte Hass habe sie blind gemacht. Die Autopsie bestätigte Eduards Allergie, und um die untröstliche Witwe nicht noch mehr zu verletzen, wurde über die Angelegenheit kein Wort mehr verloren. Sogar Leonor versuchte, sie zu beruhigen, das kann jedem passieren, Mama, Papa hätte dir sicher vergeben. Und Teresa, die zur Beerdigung des Vaters gekommen war, sagte ebenfalls, na, komm schon, Mama, wenn du dich deshalb schuldig fühlst, wie sollen sich dann erst die Autofahrer fühlen, die einen Unfall verursachen, bei dem ihre eigenen Kinder auf dem Rücksitz sterben?
Der Gedanke, dass es womöglich derselbe Priester sein könnte, der die Totenmesse las, war Dolors überhaupt nicht gekommen. Da sie seit Ewigkeiten nicht
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