Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
seltsame Fügungen und Zufälle heraufzubeschwören.
Natürlich Glòria, eine andere konnte es gar nicht sein! Leonor steht auf, sie scheint es zu bereuen, dass sie so viel geplaudert hat. Dolors’ Blick fällt auf ihren Bauchnabel, der einen Moment lang unbedeckt ist. Das Piercing ist weg, man sieht nur noch das kleine Loch. Doch das ist nur eine Frage der Zeit, die Zeit heilt alle Wunden, Kind, selbst wenn es nicht danach aussieht.
»Ich glaube, ich werde mich krankschreiben lassen, Mama. Danke, dass du mir zugehört hast.«
Schon in der Tür schenkt sie ihr dann noch ein kleines Lächeln.
»Sicher hast du nicht mal ein Viertel von dem verstanden, was ich erzählt habe, weil ich nicht laut genug gesprochen habe, stimmt’s?«
Natürlich erwartet sie keine Antwort. Für Leonor ist sie nur eine Klagemauer. Dolors macht es schon nichts mehr aus, dass man sie für taub hält. Sollen sie alle doch denken, was sie wollen, wenigstens erfährt sie so, was ihrer Tochter durch den Kopf geht.
Am Montag gehen wir zum Arzt, hatte Jofre gestern entschieden, als Leonor und er allein vor der heißen Schokolade und der köstlichen Hefeschnecke standen. So bedrückt, so am Boden zerstört hatte Dolors ihn noch nie gesehen, offenbar läuft es auch bei ihm zurzeit nicht gerade rund. Und für einen kurzen Moment tat er ihr sogar leid, bevor ihr der Gedanke kam, das hast du dir selbst eingebrockt, man erntet immer, was man sät.
Willst du die Schokolade, Mama? Leonor wollte dieTasse schon abräumen, doch im letzten Moment war ihr Blick auf Dolors gefallen. Und das ließ sich Dolors nicht zweimal sagen, denn angesichts dieser Verlockung direkt vor ihrer Nase war ihr schon die ganze Zeit das Wasser im Mund zusammengelaufen. Eifrig nickte sie.
Noch heute hat sie den süßen Geschmack der Schokolade auf der Zunge, sie ist ihr ausgezeichnet bekommen. Wenn einem etwas gut schmeckt, weckt es die Lebensgeister. Zu Hause machte sie sich oft Schokolade, allerdings nur, wenn Fuensanta nicht da war, denn sonst hätte die es brühwarm ihren Töchtern weitererzählt, und Dolors wollte unter keinen Umständen, dass die beiden von den kleinen Freuden wussten, die sie sich hin und wieder gönnte. Genau wie sie nicht wollte, dass sie etwas über ihr Leben erfuhren, dass überhaupt jemand etwas darüber erfuhr, und schon gar nicht diese Fuensanta. Heute putze ich das Esszimmer, wenn es Ihnen recht ist, Senyora. Ach ja, und wo soll ich dann zu Mittag essen?, raunzte Dolors sie an. Bis zum Mittag bin ich längst fertig, keine Sorge. Aha, murrte Dolors, um ihren erzwungenen Rückzug wenigstens ein kleines bisschen zu überspielen, und sie überlegte schnell, wie sie wieder zum Angriff übergehen konnte. Und wenn ich etwas holen muss, was dann? Na, dann kommen Sie halt rein, was sonst. Hm …
Das hatte Dolors gar nicht gepasst, sie verlor nicht gern und schon seit geraumer Zeit verspürte sie das Bedürfnis, jeden Frontalangriff zu Ende zu führen und auf diese stattliche Zielscheibe namens Fuensanta zu feuern, die ihr ständig vor der Nase herumtanzte und ihr auch noch nachts im Traum erschien. Grummelnd zog sie sich an diesem Tag in ihr Bücherzimmer zurück, das Zimmer, in dem seit AntonisTod die verbotenen Bücher standen, las mal hier, mal dort eine Zeile oder strich gedankenverloren mit der Hand über die Bücher, denn eigentlich dachte sie darüber nach, wie sie Fuensanta doch noch in die Parade fahren konnte. Und nach einer Weile kam sie darauf, es war ganz einfach.
Fuensanta hatte neuerdings ein Liebeslied, das sie unablässig vor sich hin trällerte, sie hatte eine schöne Stimme, aber trotzdem war das nervtötend. Können Sie nicht einmal ruhig sein?, hatte Dolors sie erst tags zuvor angeblafft, verflixt noch mal, schließlich wird sie nicht für Konzerte bezahlt. Und Fuensanta hatte tatsächlich damit aufgehört, doch nun sang sie schon wieder. Gerade war sie mit dem Putzen fertig. Auf diesen Moment hatte Dolors gewartet. Vermeintlich gedankenverloren schlurfte sie an ihr vorbei ins Esszimmer und tat so, als müsste sie etwas in der gegenüberliegenden Zimmerecke holen. Aber Senyora, brauste Fuensanta auf, ich habe gerade frisch geputzt! Scheinbar betreten schaute Dolors zu Boden, oh, das habe ich gar nicht gemerkt, aber sehen Sie, ich habe es Ihnen ja gleich gesagt. Schachmatt!, jubelte Dolors innerlich, und schlurfte zurück zur Tür, wobei sie ihre Füße absichtlich dorthin setzte, wo sie vorher nicht gegangen war, um noch mehr
Weitere Kostenlose Bücher