Die Wuensche meiner Schwestern
zu überzeugen, dass es noch andere Möglichkeiten gab. Und in ihrer Schwäche und ihrer Liebe zu ihm würde sie ihm womöglich zustimmen. Nein – sie durfte ihm nicht alles erzählen. Als sie schließlich das Wort ergriff, war ihre Stimme brüchig. »Ich weiß … ich weiß nicht, wie ich es sagen soll.«
»Wenn ich nicht weiß, wie ich etwas sagen soll, versuche ich, es einfach auszuspucken.«
Sie sah auf die Hände in ihrem Schoß. »O Gott, Vic. Ich wollte nicht, dass das je passiert. Ich will dir nicht weh tun. Ich … ich sehe nur einfach keinen anderen Weg.«
Auch ohne aufzublicken, spürte sie die Veränderung in seiner Haltung, die Anspannung seines Körpers, der sich auf einen schmerzhaften Zusammenstoß gefasst machte. »Wovon sprichst du?«
Sie begann zu weinen; sie konnte nichts dagegen tun. Sie sah, wie seine und ihre Zukunft auseinanderfielen: Ihre bestünde von nun an aus der Einsamkeit einer Hüterin, während seine mit Liebe gefüllt sein würde – er würde eine Ehefrau, Kinder, Freunde haben. »Ich kann einfach nicht mehr weitermachen«, sagte sie mit gesenktem Kopf. »Es ist falsch. Das mit uns wird nicht funktionieren. Wir machen uns etwas vor.«
Er ging nicht auf sie zu, doch seine Stimme war sanft. »Aubrey … es funktioniert doch mit uns beiden. Bislang war alles gut.«
»Nein.« Sie nahm sich eine Papierserviette aus dem Halter auf dem Tisch und putzte sich sorgfältig die Nase. »Es scheint gut zu sein. Aber die Strickerei – ich schwöre dir, manchmal hasse ich sie. Sie findet immer wieder Wege, um mir alles kaputtzumachen und mich noch fester an sie zu binden.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich richtig verstehe«, meinte Vic.
»In meinem Leben darf es nichts außer der Strickerei geben. Das war bei allen Hüterinnen so. Die Strickerei wird uns einfach immer alles wegnehmen, was uns von unserer Aufgabe ablenken könnte.«
»Du trennst dich von mir … wegen der Strickerei?«
Sie sah zu ihm hoch. Seine Mundwinkel hingen vor Schreck schlaff hinunter, und er hatte die Augenbrauen weit hochgezogen. »Ich vermute, ja.«
Er lachte kurz auf, wandte sich dann ab und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Das ist doch lächerlich.«
»Sag das nicht. Es ist unvermeidlich«, erwiderte sie.
»Glaubst du das wirklich?«
»Es tut mir leid.«
»Nein. Nein, das akzeptiere ich nicht. Die Strickerei ist kein Grund, um mit jemandem Schluss zu machen. Da ist noch irgendetwas anderes. Sag es mir.«
Sie schüttelte den Kopf. Sie wagte es nicht, noch mehr zu sagen. Sie wollte Vic auf keinen Fall aufgeben: Sie wollte ihn heiraten, ihm Brot und Brühe bringen, wenn er krank war, und ihre gemeinsamen Kinder abends in den Schlaf wiegen. Aubrey hätte die Strickerei von ganzem Herzen verflucht, hätte sie niedergebrannt, wenn sie nicht die letzte Rettung für Tappan Square gewesen wäre.
Sie musste sich auf das konzentrieren, was wichtig war. Nicht sie, nicht er, sondern Tarrytown.
Sie stand auf. Vic war sofort zur Stelle und versperrte ihr den Weg zur Hintertür. »Letzte Nacht lagst du in meinem Bett. Gleich hier die Treppe hinauf. Und ich hatte absolut nicht das Gefühl, dass du unglücklich warst.«
Sie konnte darauf nichts erwidern.
»Sag mir.« Er schüttelte sie an den Schultern. »Was ist seit letzter Nacht vorgefallen? Was hat sich bis heute verändert?«
Ihre Tränen flossen nun ungehemmt.
»Du willst mich immer noch, das kann ich sehen. Aubrey – sag mir endlich, was los ist.«
Sie ließ den Kopf auf seine Schulter sinken und weinte. Sie konnte ihn nicht anlügen. Zumindest das war sie ihm schuldig. Sie wünschte, sie hätte nie erfahren, wie es sich anfühlte, die Wange gegen seine Brust zu legen und das Dröhnen seines Lachens zu hören. Zu sehen, wie er beim Zubereiten des Abendessens in einen Kochlöffel hineinsang. Sie wünschte, sie hätte niemals dieses wunderbare Gefühl erlebt, das sie erfüllte, wenn er ihr an die Hüften griff, sich gegen sie presste und schließlich sein Gewicht auf sie sinken ließ. Denn wenn sie diese Dinge nie kennengelernt hätte oder wenn sie sich erst in einem Jahr in ihn verliebt hätte und nicht in dem Augenblick, in dem Tappan Square sie am dringendsten brauchte, dann hätte ihre Zukunft viel weniger trostlos und karg ausgesehen.
Er umfasste sanft ihr Kinn und blickte ihr in die Augen. »Tu das nicht.«
»Vic – «
»Du bist nicht allein. Wir sind ein Team. Wenn es ein Problem gibt, dann lösen wir es gemeinsam. Aubrey
Weitere Kostenlose Bücher