Die Wuensche meiner Schwestern
…«
»Bitte hör auf. Bitte lass das«, unterbrach sie ihn.
»Aber – ich liebe dich«, sagte er.
Die Worte schlugen dumpf in ihrem Herzen ein, wie ein Kanonenschuss oder die Explosion einer Unterwassermine. Der Lärm und die Druckwelle waren so mächtig, dass sie schwören konnte, das Dröhnen sei in ganz Tarrytown zu hören, über die Hügel bis hinunter zum spiegelglatten Fluss, der sich unter dem Geräusch leicht gekräuselt haben musste. Er liebte sie. Vic liebte sie. Sie wollte an Ort und Stelle zusammenbrechen.
Sie entzog sich ihm. Sie wusste, dass ihr Gesicht rot und fleckig sein musste. Tränen rollten ihr die Wangen hinunter.
Sie wollte noch etwas sagen, vermochte es jedoch nicht. Ihr wurde bewusst, dass Vic etwas für sie getan hatte, das kein anderer Mensch – weder ihre Mutter, ihre Schwestern noch Mariah und schon gar kein anderer Mann – je geschafft hatte. Durch ihn hatte sie begonnen, sich nicht mehr nur als Hüterin der Strickerei zu begreifen. Sie war eine Frau, mit all den Begabungen und Interessen, all den Bedürfnissen und all den Launen einer Frau. Sie bekam gerade erst langsam eine Ahnung von der Person, die sie hätte sein können, wenn sie nicht seit ihrer Geburt an die Strickerei gefesselt gewesen wäre. Sie wünschte, sie könnte Vic irgendwie für dieses Geschenk danken, während er vor ihr stand und seine Augen feucht wurden, weil sie ihm gerade das Herz brach.
Sie lehnte sich an ihn und umarmte ihn fest. Sie konnte es kaum ertragen, wie richtig es sich anfühlte, in seinen Armen zu liegen. Sie drückte die Nase gegen seinen Körper und atmete den Geruch von Sägemehl und Haut ein.
Die Versuchung, ihren Plan mit der Magie aufzugeben, kehrte noch stärker zurück als zuvor. Vielleicht, vielleicht gab es ja doch eine andere Möglichkeit. Vielleicht konnte sie etwas anderes opfern, ganz egal was. Vielleicht konnte sie Tappan Square sogar irgendwie ohne Magie retten. »Oh, Vic. Ich …«
Über seine Schulter hinweg und durch den Schleier des Fliegengitters sah sie seine Ausrüstung, seinen roten Werkzeugkoffer voller Schraubenzieher, Hämmer und Schraubenschlüssel und das gegen einen Maschendrahtzaun gelehnte Holz. Er liebte dieses Haus so sehr und hatte schon so viel Arbeit hineingesteckt. Er hatte auf eine Zukunft in Tappan Square gesetzt. Sie presste die Augen so fest zusammen, wie sie konnte, um nichts mehr sehen zu müssen. Wenn sie ihre Zukunft mit ihm aufgab, würde sie seine retten – in vielerlei Hinsicht. Er würde sein Leben in Tappan Square weiterführen können, das aufzubauen er sich erträumt hatte, lange bevor er ihr begegnet war.
Sie entzog sich seinen Armen und sah ihm ein letztes Mal in die Augen. »Es tut mir so leid. Ich hoffe … ich hoffe einfach, dass du eines Tages … glücklich sein wirst.«
Seine Miene war versteinert; all die Sanftheit und Güte waren aus ihr verschwunden. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Seine Lippen fühlten sich unter den ihren leblos an, und sie wünschte sich, sie hätte es nicht getan. Sie spürte das Brennen neuer Tränen und wandte sich rasch ab, damit er sie nicht sehen konnte. Manchmal ist es abscheulich, eine Hüterin zu sein, hatte Mariah gesagt.
Sie bewegte sich erneut auf die Tür zu, und diesmal hielt Vic sie nicht auf.
* * *
Zurück in der Strickerei, versammelte Aubrey ihre Schwestern in der Küche. Sie musste Vic für den Augenblick hinter sich lassen: Sie hatte keine andere Wahl. Sie durfte nicht an ihn denken. Sie sperrte ihre Gefühle für ihn, all die Liebe und all den Kummer, gedanklich weg und brachte ihre Schwestern ruhig auf den neusten Stand, als wäre ihr Herz nicht gerade eben in Stücke geschlagenworden. Sie erzählte ihnen die Teile der Geschichte, die sie ertragen konnte – über Jeanette und Mason Boss und die Halperns. Sie sagte ihnen nichts von ihrem Opfer. Sie wusste mit absoluter Sicherheit, was sie tun musste und was sie bereits getan hatte, und sie wollte nicht, dass irgendjemand es ihr noch schwerer machte oder sie zum Umdenken brachte.
»Und was sollen wir jetzt tun?«, fragte Meggie.
Sie standen in der Küche, und Aubrey dachte daran, wie viele Strategien hier schon ausgeheckt und wie viele Kämpfe geplant worden waren, direkt neben dem Küchenbrett, dem Ofen und dem Kühlschrank, den Mariah bis zum Schluss als Eisschrank bezeichnet hatte. Aubrey war noch nie so froh gewesen, ihre Schwestern an ihrer Seite zu haben, wie in diesem Augenblick. Sie würde sie
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