Die Wuensche meiner Schwestern
Pullover mit einem hellblauen Muster aus Schneeflocken um die Schultern. Bitty wusste, weshalb ihre Schwester sich Sorgen machte: Es war gut möglich, dass in Tappan Square niemand ihrem Ruf zu den Waffen Beachtung schenken würde – oder schlimmer, dass alle sich gegen sie wandten.
»Es macht nichts, wenn sie nicht kommen.« Aubreys Stimme klang leise und matt. »Dann werde ich den Zauber allein stricken.«
»Nein, das wirst du nicht«, rief Nessa.
»Ich werde mithelfen.« Sie sprang auf und stellte sich neben Aubrey an die Tür. »Ist das okay, Mom? Darf ich mithelfen, wenn sie anfangen zu stricken?«
Bitty spürte einen Stich in der Magengrube. Ihre Tochter bat sie um Erlaubnis, einen Zauber stricken zu dürfen. Genau das war der Grund dafür gewesen, dass Bitty ihre Tochter und ihre ganze Familie all die Jahre von der Strickerei ferngehalten hatte. Davor hatte sie sich immer gefürchtet: dass ihre Tochter die schmerzhafte, zum Scheitern verurteilte Entscheidung traf, zu versuchen, ihr Schicksal durch Wünsche, Tagträume und Hokuspokus zu kontrollieren. Sie wollte laut schreien: Nein! Sah ihre Tochter denn nicht, wie es einem das Herz zerriss, wenn man an eine Sache glaubte, die einen – nicht immer, aber irgendwann unweigerlich – im Stich lassen würde?
Aber als sie aus dem dunklen Tunnel ihrer Gedanken hinaustrat, erkannte sie Nessa wieder klar vor sich: ihren Mädchenkörper, der bereits begonnen hatte, sich zu verwandeln, ihre großen Augen, die denen ihres Vaters glichen und sie flehend und hoffnungsvoll zugleich anschauten. Bitty streckte spontan den Arm aus und zog ihre Tochter an sich, in all ihrer ungelenken, dünnen Eckigkeit. Nessa würde sie bald überragen, und das würde sich sonderbar und verwirrend anfühlen. Sie drückte sie noch fester an sich. Ihre Tochter und auch ihr Sohn würden erwachsen werden, das konnte sie nicht verhindern. Sie konnte nicht alle Entscheidungen für sie treffen, und sie konnte sie nicht für immer beschützen. Und sie nahm an, dass ihre Bemühungen, sie all die Jahre vor der Magie zu beschützen, vielleicht ein wenig übertrieben gewesen waren. Die Welt konnte ihre Kinder täglich auf tausendverschiedene Arten im Stich lassen – oder eben nicht. Sie ging davon aus, dass im Leben gar nichts sicher war, weder die Magie noch irgendetwas anderes.
Bitty küsste ihre Tochter auf den Scheitel und ließ sie dann los. »Es ist deine Entscheidung.«
»Wirklich?«
»Gib mir nicht die Gelegenheit, es mir anders zu überlegen.«
Nessa lachte, und ihre Augen glänzten. Bitty hatte ihre Tochter schon eine ganze Weile nicht mehr so strahlen gesehen, und sie freute sich darüber. »Oh, danke, Mom!«
»Was wirst du opfern?«, fragte Bitty.
»Darüber habe ich mir schon Gedanken gemacht.« Nessa steckte die Hand in die Hosentasche und zog ihr Handy daraus hervor. Bitty erkannte es als das, was es war: Nessas Verbindung zu ihrer Schule, ihren Freunden, ihrem Leben zu Hause.
»Bist du dir sicher?«, wollte sie wissen. »Wenn du ein neues willst, musst du es von deinem Taschengeld bezahlen, das ist dir hoffentlich klar?«
»Gib mir nicht die Gelegenheit, es mir anders zu überlegen«, erwiderte Nessa. Sie überreichte ihrer Mutter das Telefon. »Tante Aub, von mir aus kann es losgehen.«
Aubrey sah ihre Familie an, lächelte traurig und wandte sich wieder der Tür zu. Bitty folgte ihrem Blick in der Hoffnung, irgendjemanden da draußen zu sehen, eine freundliche Nachbarin mit einer Tasche voll Wollknäuel und Nadeln. Doch da war niemand, nur die offene Holztür und der Nachtwind, der den Geruch brennender Kohlen hereinwehte, und die von Straßenlampen unterbrochene Dunkelheit.
»Nun, ich schätze, wir sollten wohl anfangen«, sagte Aubrey.
* * *
Was Aubrey nicht wusste und auch nicht wissen konnte, war, dass im selben Augenblick überall in Tarrytown und Sleepy Hollow Frauen auf der Suche nach ihren Stricknadeln waren, die in Koffern auf dem Dachboden aufbewahrt, tief hinten in den Schrank geschoben worden oder hinter Sofakissen gerutscht waren. Sie durchkämmten alle Zimmer nach Wollresten und passenden Opfergaben – kleine Dinge, von denen sie bereit waren sich zu trennen.
Nachdem die Sonne untergegangen war, sagten sie ihren Ehemännern und Söhnen, sie sollten nicht auf sie warten, schlossen die Tür hinter sich und marschierten los – und plötzlich tauchte diese Behelfsarmee auf, deren Nadeln wie Musketenläufe in den Himmel ragten und deren Einkaufstaschen vor
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