Die Wuensche meiner Schwestern
verdorben wird. Es verläuft eine Grenze zwischen Leidenschaft und Obsession, zwischen Sehen und dem Glauben, man könne sehen.
Kapitel 6
Nähe mit dem Maschenstich zusammen
Den Bewohnern von Tarrytown und Sleepy Hollow fiel es nicht schwer, an Magie zu glauben. Sie hatten es immer schon getan. Die Ureinwohner hatten sich jahrzehnte-, sogar jahrhundertelang während ihrer Zusammenkünfte um den großen Hokohongus-Baum, eine riesige Kastanie, versammelt. Die versklavten Männer und Frauen aus dem Kongo, die auf dem Gutshof Philipse Manor lebten, hielten das dreckige Wasser des Pocantico für die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits. Sogar der alte Frederick Philipse selbst hatte Bekanntschaft mit dem Unglaublichen gemacht.
Der Legende nach hatte er gerade mit dem Bau der Old Dutch Church begonnen – seine Sklaven trugen die Steine zusammen und rührten den Mörtel an –, als ein Hochwasser den Mühlweiher überflutete. Der Damm bröckelte, Wasser strömte ins Tal. Philipse ließ den Bau der Kirche unterbrechen, um den Damm zu reparieren, und die Sklaven zur Kirche auf dem Grashügel zurückkehren, als das Wasser sich wieder gefügt hatte, damit sie ihre Feldsteinmauer höher und höher aufrichteten, Gott und dem breiten Himmel des Tales entgegen.
Doch der Damm des Mühlweihers brach erneut. Und erneut wurde der Bau der Kirche unterbrochen. Es wiederholte sich immer wieder. Bruch, Pause. Bruch, Pause.Bis schließlich einer von Philipses Sklaven seinen Herrn zur Seite nahm, um ihm zu berichten, dass Gott ihm einen Traum geschickt habe. Bis die Old Dutch Church – die damals natürlich noch die neue holländische Kirche war – nicht von Menschen und Gebeten überschwemmt wurde, würde der Damm nicht halten. Und tatsächlich, nachdem die kleine Kirche erbaut war und ihre Pforten geöffnet hatte, lief der Mühlweiher nie wieder über.
Genau so erzählten es zumindest die Alten seit 1697, als nachts noch Wölfe in den bewaldeten Hügeln von Manhattan heulten, die Weckquaesgeck nach Bibern jagten, um sie gegen Teekessel und Gewehre einzutauschen, und in den dichten Wäldern noch gesunde amerikanische Kastanien wuchsen.
Die Geschichte der Strickerei war dagegen nicht so fest in den Köpfen der Menschen verankert wie die der Old Dutch Church. Sie war auch nicht ganz so heiter. Manche hatten gehört, das Van-Ripper-Haus werde von einem Mädchen mit blonden Zöpfen heimgesucht, die eine weiße spitzgeflügelte Haube auf dem Kopf und kleine Holzklompen an den Füßen trug. Doch wahrscheinlich war die wahre Geschichte der Strickerei – falls es so etwas gab – jene, die die Van Rippers untereinander erzählten und von Generation zu Generation weitergaben, gehütet wie die Schätze im Turmzimmer. Und wie so viele Geschichten, die wie Schneeflocken durch die Zeitalter rieseln, um das Wesen der Dinge zu ergründen, war auch die der Strickerei eine Liebesgeschichte, und zwar eine magische.
An Herbstabenden, wenn der braungraue Fluss ruhig dahinfloss und die Palisades steinern Wache hielten, nahm Mariah alle drei Mädchen mit in ihr Bett – meine drei kleinen Vögelchen nannte sie sie – und erzählte ihnen die Geschichte von den Anfängen der Strickerei. Sie sagte, es sei wichtig, dass sie nie vergaßen, wo sie herkamen. Für die Van-Ripper-Frauen lag die Strickerei jeder Entscheidungzugrunde, die sie jemals treffen würden, ob es ihnen gefiel oder nicht. Die Zukunft eines Menschen konnte sich in unendlich viele Richtungen und Umwege verzweigen, doch seine Vergangenheit hatte stets zuverlässig denselben Ausgangspunkt.
Die Geschichte begann wie so viele andere auch: Es war einmal . Damals war das Hudson-Tal ein Schlachtfeld, erzählte Mariah, in dem Soldatenlieder, Befehlsgebrüll und Geschützfeuer widerhallten. Der Sommer des Jahres 1779 war heiß und roch nach abgestandenem Teichwasser, gekochten Kartoffeln und Blitzschlägen. Der kopflose Hesse aus Sleepy Hollow kratzte sich hinter dem Ohr und jammerte über seine Läuse, ohne zu ahnen, auf welche Weise er einst in die Geschichte eingehen würde. George Washington beugte sich jeden Abend über seine Landkarten und seinen Madeirawein und gab sich halbherzigen Tagträumen über seine Sally Fairfax hin, die eine perfekte Weggefährtin für ihn gewesen wäre, wäre sie nicht mit einem England treuen Loyalisten verheiratet gewesen. Die Frauen der Revolution kampierten in der Nähe ihrer Ehemänner und kochten die Wäsche, strickten Strümpfe für Kerle, die ein Paar
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