Die Wuensche meiner Schwestern
Strickerei, sondern auch Mariah ihr peinlich war – eine Frau, die sich mit ihren klischeehaften »Hexenröcken« und Korsagen und Mond-und-Sterne-Schmuckstücken lächerlich machte. Eine Frau, die an das Unbeweisbare und Unglaubliche glaubte – und die nicht verstehen konnte, wieso Bitty nicht dasselbe tat.
»Alles in Ordnung?«, fragte Nessa.
»Natürlich. Warum denn nicht?«
»Du siehst aus, als würdest du auf deinen eigenen Zähnen herumkauen«, meinte ihre Tochter.
Bitty richtete den Blick in die Ferne. Carson rief sie vom Südende des Parks herbei und winkte mit den Armen. Er wollte, dass sie sich den Leuchtturm ansehen kamen. Er befand sich direkt hinter den Bäumen: weißes Metall, durchlöchert von Schraubenbolzen und übersät mit Rostflecken. Wie seit eh und je.
Bitty gab ihrer Tochter einen leichten Klaps auf den Hintern.
»Ma!«
»Lauf schon los. Ich bin direkt hinter dir.«
Nessa rannte los. Bitty ging in normalem Tempo weiter. Sie war erst seit wenigen Nächten zurück in Tarrytown. Unter dem weiten Himmel wuchs eine Sehnsucht in ihr, die sie nicht recht benennen konnte. Vielleicht war es Nostalgie, die ihr in die Knochen kroch wie ein kalter Luftzug durch Holzdielen. Vielleicht war es aber auch eine Sehnsucht nach dem neuen Leben, das sie sich aufgebaut hatte – oder zumindest nach dem Leben, das sie aufzubauen versucht hatte, das ihr jedoch immer noch versagt zu bleiben schien. Was der Grund dafür auch sein mochte, sie wurde immer trauriger, je länger sie sich an diesem Ort aufhielt. Obwohl sie mit ihren Schwestern unter einem Dach schlief, fehlten sie ihr. Sie hatten einwenig geplaudert, besprochen, was zu besprechen war, doch sie hatten sich noch nicht unterhalten, richtig unterhalten. Außer, um sich über den Verkauf der Strickerei zu streiten. Sie schlichen umeinander herum, stellten keine Fragen, gingen sich aus dem Weg. Bitty hatte geglaubt, sie würde diese Bemühungen zu schätzen wissen. Doch das tat sie nicht.
Der dunkle Leuchtturm ragte unverwüstlich vor ihr im ruhigen rosa Licht der Dämmerung auf.
* * *
Ein paar gemeinsame Jahre lang galten die Van-Ripper-Mädchen als unzertrennlich, eine isolierte kleine Einheit, die niemandem von außen Zutritt gewährte. Auf den Spiel- und Basketballplätzen, in Delis und vor den Fenstern der Zoohandlung erschienen die drei Mädchen den besseren Familien von Tarrytown wie Straßengesindel aus einem anderen Jahrhundert – der Zeit der Zeitungsjungen und Waisenhäuser und Männer, die Straßenlaternen anzündeten. Noch bevor Mariah sie aus der öffentlichen Schule genommen hatte, waren sie zu Ausgestoßenen geworden. Sie trugen mit Gras und Ketchup befleckte Kleidung, die ihnen nicht richtig passte, und hatten zottiges, ungebändigtes Haar. Bitty war eine schlaksige Jugendliche auf dem holprigen Weg zur Frau; Meggie war ein marmelade- und schmutzbeschmiertes Kind, das immer die Hand einer ihrer älteren Schwestern halten wollte; Aubrey schließlich war ein Bücherwurm, abwesend und ein wenig unzuverlässig, aber stets an der Seite ihrer Schwestern.
Nachmittags, wenn brave Kinder zu Hause waren und ihre Hausaufgaben machten, waren die Van-Ripper-Mädchen im Park zwischen Tarrytown und Sleepy Hollow anzutreffen. Dort war die Verschwörung des hinterhältigenVerräters Benedict Arnold gegen George Washington aufgedeckt und sein Handlanger und Sündenbock John André gefangengenommen worden.
Bitty kletterte bei ihren Spielen im Park auf den Rand des Denkmals und hielt sich mit einer Hand daran fest: »Ihr seid die Milizionäre, und ich bin John André.«
Manchmal spielten sie die Ereignisse von damals, die den Ausgang des Unabhängigkeitskrieges hätten verändern können, tatsachengetreu nach: John André, der Benedict Arnolds Unterlagen in einem stinkenden Stiefel schmuggelt, glaubt wegen dessen Mantel aus Sackleinen, dass ihm ein Loyalist gegenüberstehe – statt eines Patrioten in einem gestohlenen Mantel –, und verrät ihm den Plan, nur um dann festzustellen, dass er gerade sein eigenes Todesurteil unterschrieben hat. Andere Male spielten sie, dass John André durch ganz Tarrytown verfolgt wurde – weshalb die Mädchen kreischend durch die Straßen rannten, Passanten anrempelten und zunehmend zu einer Belästigung wurden.
Doch das John-André-Spiel war noch die geringste Sorge Tarrytowns, wenn es um die Van Rippers ging. Als Kinder mit magischen Fähigkeiten hinterließen sie ihre ganz eigene Art von Chaos.
Obwohl bei
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