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Die Wuensche meiner Schwestern

Die Wuensche meiner Schwestern

Titel: Die Wuensche meiner Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa van Allen
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federnd einen Weg durch die Menge auf der Wiese bahnte, und wischte sich die Tränen von der Wange. Jeanette war groß und schön, und ihre dunkle Haut setzte sich von dem türkisgrünen Schal ab, den Aubrey ihr im vergangenen Jahr gestrickt hatte – kein Zauber, nur ein Geschenk. Köpfe drehten sich nach Jeanette um, die in ihrer Eile versuchte, nicht so zu wirken, als hätte sie es eilig.
    »Hey.« Sie setzte sich neben Aubrey auf die Decke. Ihr Atem war flach. In ihrem Blick lag Panik.
    »Was ist los? Ist was passiert?«
    »Ich bin in der Bibliothek aufgehalten worden. Irgendein Opa hat Papier aus einem Ringbuchblock in den Drucker gesteckt. Deshalb bin ich so spät dran.«
    Aubreys Anspannung löste sich. »Kein Problem, das macht doch nichts.«
    »Ach, und die Halperns sind hier.«
    »Was?«
    »Sie sind gerade aus ihrer Limousine gestiegen.«
    »Wo?«
    »Dort drüben.«
    Aubrey folgte Jeanettes Blick. Die Halperns standen am Nordende des Parks, hinter der sitzenden Menge. Steve Halpern trug einen geraden schwarzen Mantel – viel zu streng für ein Picknick. Jackie wirkte in ihrem grauen Chiffonkleid und dem dunklen Pelzmantel geradezu elegisch. An einem guten Tag waren die Halperns in Tappan Square unbeliebt. An einem schlechten waren sie verhasst. Dies – der Tag von Mariahs Begräbnis – war ein schlechter Tag.
    Aubrey spürte eine Veränderung in der Luft und war nicht erstaunt, als Vic sich zu ihr herunterbeugte. Er hatte mit seiner Schwester etwa drei Meter entfernt auf einer Decke gesessen, auf dem nächsten Flecken Gras, der bei seiner Ankunft noch frei gewesen war. Als er nun vor ihr hockte und die Ellbogen auf den Knien ablegte, raschelte und knisterte sein gestärktes Hemd.
    »Hast du sie auch gesehen?«, fragte sie.
    Er nickte. »Ich kann sie bitten, zu gehen, wenn du es möchtest.«
    »Gehen?«
    »Glaub mir, ich würde nichts lieber tun, als sie wegzuschicken.«
    Sie lachte, auch wenn daran gar nichts lustig war.
    »Das ist mein Ernst. Soll ich sie bitten, zu verschwinden?«
    »Ich … ich weiß es einfach nicht.«
    Sie ließ ihren Blick über den Park schweifen. Der Himmel verdunkelte sich. Ein Polizist lehnte mit verschränkten Armen und mürrischem Gesichtsausdruck an einem Baum. Eine Polizistin schlenderte mit den Händen auf dem Rücken zwischen den Picknicktischen entlang. Die Stadt hatte die Polizei geschickt, um unter Tappan Squares unkontrollierbaren Chaoten »die Ordnung zu wahren«. Und nun, da Aubrey aufmerksam hinsah, bemerkte sie, dass die friedliche Atmosphäre des Abends ins Wanken geriet. Junge Männer, die zuvor noch nicht da gewesen waren, hatten sich in den dunkler werdenden Schatten gruppiert. Sie lachten laut und nahmen große Schlucke aus Flaschen, die nach Eistee aussahen, in denen sich aber alles Mögliche befinden konnte. Sie musterten die Cops, die sie ihrerseits nicht aus den Augen ließen. Irgendwo ging plötzlich ein wehklagender Feuerwerkskörper los. Die Luft summte wie ein zerrissenes Gummiband.
    Vic fasste sie am Arm. »Aubrey?«
    Die Halperns blickten über den Park hinweg zu ihr herüber. Ohne Zweifel gaben einige der Bewohner von Tappan Square den Halperns die Schuld an Mariahs Tod. Die Halperns standen für alles, was Mariah nicht guthieß – die Ausgrenzung der Armen, Steuererleichterungen für die Wohlhabenden, eine Gesetzgebung, die die kleine Minderheit der Reichen begünstigte. Die Halperns hatten als Erste den Vorschlag, Tappan Square abzureißen, vorangetrieben. Und alle warteten darauf, dass Aubrey entschied, ob die Halperns bei ihnen bleiben durften, all ihre Nachbarn, all die angriffslustigen jungen Männer, die auf den Motorhauben ihrer Wagen saßen und am Rand des Parks herumlungerten, all die Polizisten, die Hacke – Spitze, Hacke – Spitze durch die Menge liefen und alles genauestens beobachteten.
    Sie rieb sich die Stirn. Dann schaute sie auf die Maschen in ihrem Schoß. »Ich würde sagen, sie können ruhig bleiben. Ich meine, was kann denn schlimmstenfalls passieren?«
    »Berühmte letzte Worte«, warf Meggie ein.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Vic.
    Aubrey nickte. Sie genoss die liebevolle Besorgnis in seinem Blick.
    »Kann ich mich einen Moment zu euch setzen?«
    »Natürlich«, erwiderte Aubrey und rutschte ein Stück zur Seite. Sie konnte sich nicht mehr auf ihre Maschen konzentrieren, nicht auf die Reden zu Ehren Mariahs, nicht auf die Halperns. Sie schämte sich dafür, dass Vics Nähe sie so sehr ablenkte, seine Hand auf der Decke,

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