Die Würde der Toten (German Edition)
ehemaligen Abteilungsleiters saß Adrian diesem gegenüber; allein und inoffiziell. Uwe Förster hatte darauf bestanden, sich ihn noch einmal persönlich zur Brust zu nehmen.
»Was zum Kuckuck hast du dir bloß gedacht, Adrian?«
Nichts, hätte er am liebsten geantwortet. Aber das entsprach nicht der Wahrheit. Er hatte sehr wohl etwas gedacht. Dennoch fiel es ihm schwer zu erklären, wie alles gekommen war. Sein Leben, das früher aus festen Regeln, klaren Strukturen und Fakten bestanden hatte, versank im Durcheinander.
»Von der ganzen Vorgeschichte mal abgesehen, war das zumindest unterlassene Hilfeleistung. Du hast den Kampf ja wohl mitverfolgt, bei dem Jürgen Moosbacher tödlich verletzt wor den ist.«
»Nein. Ich bin gegangen, als er den Ring betreten hat.«
»Aber dir muss doch klar gewesen sein, dass der Mann keine Chance hatte. Wieso hast du nichts unternommen?« Förster krempelte die Ärmel seines Hemdes auf und öffnete einen Kragenknopf. Er schwitzte – stellvertretend für Adrian, der nahezu ausdruckslos vor sich hinstarrte.
Adrian hatte keine Lust, sich dauernd zu rechtfertigen. Auch wenn er genau wusste, dass Förster versuchte, ihm beizustehen, sonst hätte er ihn einfach den internen Ermittlern überlassen. »Was hätte ich denn tun sollen? In die Arena stürmen und schreien: Polizei – sie sind alle verhaftet wegen illegalen Glücksspiels?«
»Ein Anruf in der Zentrale …«
»… hätte den Kampf nicht verhindert. Außerdem musste ich da mit rechen, dass die Kollegen von der organisierten Krimi nalität der Gesellschaft schon auf der Spur waren und vielleicht V-Männer eingeschleust hatten.«
Uwe Förster räusperte sich und beugte sich auf seinem Stuhl nach vorn. Adrian schaute ihm direkt in die Augen.
»Wenn ich einen Großeinsatz ausgelöst hätte – oder auch nur einen Rettungswagen angefordert, wäre uns die ganze Bande durch die Lappen gegangen. Das weißt du so gut wie ich! Diese Leute sind üblicherweise bestens informiert und hören den Funk ab. Und dann? Monatelange Ermittlungsarbeit für den Arsch. Ist doch so. Die wären verduftet und die Location wäre verbrannt gewesen, da hätte sich keiner von denen mehr blicken lassen.«
»Lasse ich gelten. Aber du hast die Möglichkeit nicht genutzt, vom Präsidium aus die Kollegen zu informieren. Die Jungs von der Leitstelle haben sämtliche Nummern. Stattdessen ist noch ein ganzer Tag ins Land gegangen, bis du endlich die zuständige Direktion informiert hast.«
Den Einwand konnte Adrian nicht entkräften. Rational gesehen gab es keinerlei Grund für diese Verzögerung. Rational war er früher auch immer gewesen. Wie lange war das her? Kaum mehr als zwei Wochen. Aber seitdem hatte er nichts mehr im Griff. Schon gar nicht seine Gefühle.
»Ich wollte Sicherheit. Musste erst noch ein paar Sachen klären«, murmelte er jetzt. Das war nun wirklich die Wahrheit. Aber ihm war klar, dass die in diesem Fall nicht ausreichte.
»Diese Henriette Körner steckt bis zum Hals in dem Sumpf mit drin. Du hast Zeit verschwendet, weil du etwas finden wolltest, was sie entlastet.« Auch Uwe Förster sprach jetzt leise. Aber es war kein Verständnis in seiner Stimme.
»Sie hatte Gründe, verdammt gute Gründe. Sie hat nur versucht, andere zu beschützen.« Es klang selbst in seinen eigenen Ohren wie eine fade Entschuldigung. Aber so war es. Henry hatte es gesagt, und er glaubte ihr bedingungslos.
»Quatsch. Sie hat dir den Kopf verdreht, damit du nicht siehst, was vor sich geht.«
»Nein. So ist es nicht gewesen!« Reflexartig sprang er auf, dicht gefolgt von Förster, der ihn beschwichtigend am Arm packte und zurück auf den Stuhl drückte.
»Und wie war es dann? Du warst doch bei ihr in der Nacht vor ihrer Festnahme. Willst du mir erzählen, ihr habt nur Karten gespielt?«
Adrian stöhnte auf. Diese verfluchte Nacht. Dieser eine Augen blick, in dem er sich nicht hatte beherrschen können. Diese elende Schwäche, die ihn am Reden gehindert und in ihr Bett getrieben hatte, um alles um sich herum zu vergessen.
Er hob den Kopf und schaute Förster entschlossen ins Gesicht. »Ich weiß, dass ich wahrscheinlich mit daran schuld bin, dass Jürgen Moosbacher tot ist. Ich habe das nicht gewollt, aber ich stehe dafür gerade, mit allen Konsequenzen. Doch du musst mir glauben, dass Henry … Sie würde nie willentlich einem Menschen schaden. Keinem lebenden und keinem toten.«
* * *
Aus dem Telefonlautsprecher ertönte die Bandansage des
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