Die Wundärztin
»Um jemanden aufzuknüpfen, reicht schon ein einigermaßen kräftiger Ast an einem Baum. Alle wissen, wie sehr Seume daran liegt, die Hinrichtung als Einstimmung auf die Schlacht mit den Schweden durchzuführen. Und die steht unmittelbar bevor.«
Der Feldscher schüttelte den Kopf. »Das denkst du. Wo aber bleiben die verfluchten Schweden? Noch immer ist nichts von ihnen zu sehen. Wären sie tatsächlich so nahe, hätten die Kundschafter das längst gemeldet. Hat das Unwetter sie verschreckt? Gar der Blitz sie getroffen oder der Sturm sie hinweggefegt?«
Abermals kicherte er in sich hinein. Besorgt trat Magdalena an ihn heran und versuchte, in seinen Augen zu lesen, ob er nicht doch dem Wahnsinn verfallen war. Gleichzeitig keimte eine schwache Hoffnung in ihr, Wrangels Truppen steckten tatsächlich irgendwo in weiter Ferne im Morast fest. Vielleicht verschaffte ihnen das genügend Aufschub, um Eric aufzupäppeln und in den nächsten Tagen doch noch in Sicherheit zu bringen. Das aber setzte voraus, dass Rupprecht sie nicht verraten hatte oder gar selbst bei den Vorbereitungen in der Höhle erwischt worden war. Und natürlich waren sie andererseits darauf angewiesen, dass die Schlacht rechtzeitig losbrach, um im Getümmel der Kämpfenden mit Eric unbemerkt zu entkommen. Magdalena schien es, als platzte ihr angesichts all dieser Überlegungen der Schädel. Ihr Kopf dröhnte, die Augen schmerzten. Es fiel ihr immer schwerer, sich auf eine Sache zu konzentrieren.
»Lass uns gehen, bevor Seume sich für immer aus diesem irdischen Jammertal verabschiedet.« Die Stimme des Feldschers klang entschlossen. »Wegen Rupprecht lassen wir zu Roswitha schicken. Vielleicht weiß die, wo er steckt. Falls nicht, kann sie hier auf ihn warten und derweil Ordnung in unsere Tiegel bringen.«
Magdalena nickte. Mit zittrigen Fingern verschnürte sie den Beutel, in den sie ihre Gerätschaften und Salben gestopft hatte, und schlang sich die Leintücher um die Hüften, weil sie keinen Platz mehr darin fanden.
Meister Johann hatte es noch eiliger als vorhin. Es kümmerte ihn wieder nicht, ob sie ihm auf ihren kurzen Beinen mit dem schweren Bündel folgen konnte. Den Blick stur geradeaus gerichtet, marschierte er durch die engen Lagergassen, achtete wenig darauf, ob er jemanden anrempelte oder zwang, zur Seite zu springen. Die matschige Erde, die er mit seinen schweren Stiefeln zertrat, quoll zur Seite weg, als presste er einen nassen Schwamm aus. Ihm war es gleich, fand er mit den beschlagenen Sohlen und Absätzen doch immer wieder ausreichend Halt. Magdalena aber musste achtgeben, dass sie mit ihren Schuhen nicht im Dreck versank oder in dem Schlamm ausglitt. Je schneller sie rannte, desto ärger wurde es. Es kam ihr vor, als liefe sie über schwimmende Holzbohlen im See. Längst hatte sie jegliches Gefühl in den eiskalten Zehen verloren.
Im Lager war das Leben endgültig erwacht. Grau und regenschwer wölbte sich der Himmel darüber. Mangels Sonne erwärmte sich die Luft äußerst langsam. Übel hatte das Unwetter der vergangenen Nacht gewütet. Immer wieder musste Magdalena Ästen und Gestrüpp ausweichen, die mitten im Weg lagen. So manches Zelt und einige notdürftig errichtete Unterstände waren eingestürzt, selbst Planwagen lagen umgekippt auf der Seite. Nicht auszudenken, wie die Gräben und Schanzen des Befestigungsrings um das Lager aussehen mochten. Die gestrige Mühe der Zimmerleute schien völlig umsonst. Bei einem Überraschungsangriff waren sie schutzlos den Feinden ausgeliefert. Ein stechender Schmerz durchfuhr Magdalena, als sie an Carlotta dachte. Unbedingt musste sie das Kind nachher zu sich holen.
Die Menschen in den Unterständen fluchten. Verbissen machten sich Groß und Klein daran, die Schäden des Unwetters auszubessern, bevor der nächste Sturm losbrechen und endgültig alles hinwegreißen würde. Einige waren klug genug, dabei nicht nur die Leinwände der Zelte fester zu verschnüren und die Stützpfähle tiefer in den Boden zu rammen, sondern auch Gräben um ihre Unterkünfte zu schaufeln, die das Regenwasser auffangen und ableiten konnten. Daran wollte Magdalena Meister Johann später erinnern, wenn erst einmal die Operation an Seume überstanden war. Wahrscheinlich würde es schon bald wieder zu regnen beginnen. Die düsteren Wolken senkten sich immer tiefer nach unten. Die Stadt auf dem Berg versank bereits im grau verschleierten Gewölk.
»Ob Rupprecht bald auftaucht?« Abrupt bremste der Feldscher kurz
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