Die Wundärztin
der zweiten Hand hielt er weitere Instrumente für den Feldscher bereit. Die Steckenknechte stellten sich breitbeinig an der gegenüberliegenden Seite des Tisches auf. Voller Misstrauen verfolgten sie jeden Handgriff. Meister Johanns Blick streifte Magdalena. Sie meinte Enttäuschung darin zu lesen. Die Steckenknechte vereitelten seinen Plan, das Gift zu verwenden. Ihr blieb nichts anderes, als sich den Branntweinschlauch zu greifen. Dicht neben Seumes Kopf baute sie sich auf, jederzeit bereit einzugreifen, sollte der Schmerz, den das Nähen der Wunde mit der glühenden Nadel verursachte, Seume aus der Ohnmacht reißen. Gebannt starrte sie auf die Wunde. Der stärker werdende Regen schien den Rhythmus des darin pochenden Blutes vorzugeben.
Als Erstes entfernte Meister Johann das aufliegende Tuch. Sogleich quoll ein frischer Schwall Blut heraus, spülte Splitter und Dreck nach oben. Der süßliche Geruch rief die Fliegen auf den Plan. Hastig verscheuchte Magdalena sie. Die Hände des Feldschers zitterten auf einmal ungewöhnlich stark. Bevor er nähte, musste er die Wunde gründlich säubern, um die Gefahr des Wundbrands zu bannen. Rupprecht hielt die Lampe tiefer, damit der Lichtstrahl die Wunde besser ausleuchtete. Dabei wurde das Zittern von Meister Johanns Fingern noch deutlicher. Mit einem erbosten Aufschnaufen machte er sich Luft. Schwer atmend versuchte er, die kleine Zange ruhig zu halten, und beugte sich erneut über Seume. Knapp bevor er einen Spreißel in der Wunde erwischte, zögerte er ein weiteres Mal. Es sah aus, als überlegte er, was wirklich zu tun sei. Einer der Steckenknechte räusperte sich. Das Metall der Zangenspitze funkelte im Licht. Das Zittern wurde schlimmer, je näher Meister Johanns Finger dem Patienten kamen. Wieder zog er sie zurück, atmete tief durch, versuchte es erneut. Doch auch dann konnte er die Zange nicht still halten, geschweige denn, gezielt damit hantieren und wenigstens den dicksten Splitter entfernen. Ein letztes Mal wich er zurück, richtete sich auf und schloss die Augen.
Das Prasseln auf dem Zeltdach ließ nach. Besorgt beobachtete Magdalena Meister Johann. Blass war er geworden, die Adern an den Schläfen fast unsichtbar. Deutlich stand ihm die Qual ins Gesicht geschrieben.
»Zusammendrücken!«, schrie Rupprecht auf, als Meister Johanns Finger abermals knapp über der Wunde bebten und das Blut herauspochte. »Drück endlich zusammen, damit es aufhört zu bluten!«
Der Befehl traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Plötzlich ging alles sehr schnell. Meister Johann ließ die Zange fallen und stürzte hinaus. Verblüfft schaute Rupprecht ihm nach, die Öllampe immer noch dicht über dem Patienten. Magdalena brauchte nicht lange, um zu begreifen, was zu tun war. Schon drückte sie einem der Steckenknechte den Branntweinschlauch in die Hand, herrschte den anderen an, Seume besser festzuhalten, und griff selbst nach der Zange. Einen Augenblick noch zauderte sie. Seumes Leben lag in ihrer Hand. Es wäre ein Leichtes, den nächsten Stich absichtlich falsch zu setzen und die Wunde zu vertiefen, statt sie zu schließen. Niemand könnte ihr das nachweisen, nicht einmal der Generalauditor. Meister Johann aber wäre ihr dankbar, das Vorhaben in die Tat umgesetzt zu haben. Sie zögerte, schürzte die Lippen. Noch einmal hob sie den Blick und sah zu Rupprecht, der jedoch wie erstarrt wirkte.
Sie brachte es nicht über sich. Sie war Wundärztin, um Leben zu retten, nicht um zu töten. Auch Meister Johann hatte Seume aus den Trümmern geborgen, hatte sein Leben riskiert, um ihm zu helfen, statt ihn krepieren zu lassen. Nicht einmal das Gift hatte er ihm einträufeln können.
»Mehr Licht!«, verlangte sie und begann die Holzsplitter aus der Wunde zu ziehen. Gehorsam leuchtete Rupprecht. Als sie von ihm das Skalpell verlangte, um die Ränder zu glätten, erwachte er allmählich aus der Erstarrung. Ganz langsam schien er zu begreifen, dass sie schon dabei war, die Blutung zu stoppen und Seume das Leben zu retten, während er halb gelähmt danebenstand.
Nicht zum ersten Mal nähte sie eine solche Kopfwunde. Allerdings hatte sie noch nie zuvor so dicht am Lid entlang die Stiche setzen müssen. Gefährlich nahe kam sie dabei dem Augapfel. Stach sie daneben, würde Seume erblinden. Schweiß trat ihr auf die Stirn. Zeit, sich das Gesicht zu wischen, blieb nicht. Endlich ließ das Pulsieren des Blutes nach, versiegte allmählich ganz. Der Sturz musste den Profos in tiefe Bewusstlosigkeit
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