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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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grübelte, wandte der Feldscher sich bereits seinen Schraubgläsern zu, maß einige Lot Wachs, Terpentin und Leinöl in ein Gefäß, verrührte es mit gleichen Teilen roter Mennige und verschloss es sorgsam. Er schien allein damit beschäftigt, in Gedanken bereits den anstehenden Eingriff an Seume vorzunehmen. Jäh fuhr ihr eine Idee durch den Kopf: die Phiole mit Gift, von der er ihr gestern erzählt hatte! Steckte die noch immer in seiner Tasche? Wenn er Seume nachher behandelte, wäre es ein Leichtes, ihm das Gift einzuträufeln. Niemand würde Verdacht schöpfen, wenn er unter diesen Umständen starb, alle würden das auf den Sturz zurückführen.
    »Hast du die offene Wunde an der Stirn gesehen, knapp oberhalb des linken Auges?« Meister Johann klang hoch konzentriert. »Das wird nicht einfach zu nähen sein. Hoffentlich rinnt nicht zu viel Blut ins Auge. Es bleibt uns auch so kaum Platz, die Stiche anzusetzen. Wenigstens hat er genug Speck auf den Rippen, um manches auszuhalten, was einen anderen gleich ins Jenseits verfrachten würde.« Er schüttete getrocknete Kamillen- und Johannisblüten in die hohle Hand, mischte aus einem anderen Säckchen Blätter von rotem Mangold dazu und gab die Kräuter in ein Tuch. Geschickt band er das zu einem Beutel und verknotete die Enden. Dann zählte er ein Dutzend Blätter Lachenknoblauch ab und tat sie in ein weiteres kleines Leinsäckchen, das er danebenlegte. Der strenge Geruch stieg Magdalena sofort in die Nase. Auf leeren Magen machte ihr das Kraut schwer zu schaffen. Angestrengt suchte sie sich auf andere Düfte zu konzentrieren.
    »Auch am Hals hat er eine üble, weit aufklaffende Stelle. Die ist recht nah an der Ader. Wenn wir Glück haben, bleibt die unverletzt, und er verblutet uns nicht«, fuhr Meister Johann fort. »Am restlichen Leib sind es, soweit ich gesehen habe, vor allem stumpfe Verletzungen, wahrscheinlich Knochenbrüche, die wir schienen müssen. Die linke Schulter scheint ausgerenkt, da muss einer der Steckenknechte mit ran. Wir zwei allein werden ihn nicht halten können, um das wieder einzurenken. Die eine oder andere Abschürfung können wir mit Branntwein austupfen, das wird reichen. Insgesamt müssen wir also zweimal nähen, ansonsten sorgfältig schienen und verbinden. Den Rest wird der Pfaffe mit Gebeten richten müssen. Noch kann keiner wissen, ob er den heutigen Tag übersteht.«
    Mit diesen Worten griff er sich den Tiegel mit der geheimnisvollen, fünfzig Jahre alten Wundsalbe und prüfte mit zusammengekniffenen Augen die Eignung einiger gerader Stöcke als mögliche Schienen für die Gliedmaßen. Zu guter Letzt stellte er den Krug mit dem bewährten Digestivum aus Eigelb, Terpentin und Oleum rosatum bereit, das sie gestern in Erwartung des schwedischen Angriffs angerührt hatten, und packte die eindrucksvolle Lederrolle mit dem Chirurgenbesteck dazu. Ein erleichtertes Durchatmen kündete davon, dass er alles beisammenhatte, was er für den bevorstehenden Eingriff zu benötigen glaubte.
    Magdalena fühlte sich nutzlos. Warum war sie ihm überhaupt gefolgt? Keinen einzigen Handgriff hatte sie zur Vorbereitung tun können. Verlegen wickelte sie den bereits halb abgelösten Verband von der linken Hand, bewegte vorsichtig die Finger, prüfte jedes einzelne Glied. Es schmerzte zwar noch etwas, angesichts der bevorstehenden Operation aber war es besser, sie verzichtete ganz auf den Verband. »Wie geht es jetzt weiter?« Mit brüchiger Stimme sprach sie endlich aus, was sie die ganze Zeit schon hatte fragen wollen, und besah sich weiter angestrengt ihre linke Hand. »Ist der Sturz gut oder schlecht für uns?«
    »Was fragst du mich das?« Meister Johann fuhr herum und hätte dabei fast einen Tiegel mit Wundsalbe umgestoßen, der offen vor ihm auf dem Boden stand. Rasch bückte er sich und spannte ein Tuch darüber, das er mit einer Schnur festband. Als er sich aufrichtete, war die ungesunde Röte in sein Gesicht zurückgekehrt, sein Atem ging rasch. Behutsam berührte sie ihn am Arm. Warum war sie so ungeschickt gewesen? Sie hatte ihn nicht aufregen wollen.
    Nach einem Seufzer kehrte sein Lächeln zurück. »Keine Sorge, mein Kind. Eigentlich entwickelt sich alles in unserem Sinn. Solange Seume nicht bei Bewusstsein ist, kann er nichts entscheiden. Ich gehe davon aus, dass die geplante Hinrichtung erst einmal aufgeschoben wird. Wo wollen sie Eric auch hängen? Der Galgen ist jedenfalls hin.«
    »Den braucht es dazu nicht.« Sie schnappte nach Luft.

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