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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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vor Erreichen des Ziels ab. Fast wäre sie in seinen Rücken gelaufen.
    »Warum?« Kaum hatte sie die Frage ausgesprochen, schämte sie sich bereits dafür. Wie töricht sie sich anstellte! Es lag auf der Hand, dass sie ihn als zweiten Gehilfen dringend bei der Operation benötigten. Die Steckenknechte mochten zwar kräftig genug sein, um Seume beim Einrenken festzuhalten. Das machte ihre fehlende Übung als Feldschergehilfen aber nicht wett.
    »Was sagen wir nur? Lang können wir sie nicht hinhalten«, wisperte Meister Johann, dessen Miene immer düsterer wurde.
    »Dass er Roswitha wegen einer schwierigen Kindslage beistehen muss?«, schlug sie vor.
    »Etwas Besseres fällt dir nicht ein?« Unsanft packte er sie am Arm und zwang sie, ihm direkt in die Augen zu sehen.
    »Magdalena!« Fast flehentlich flüsterte er: »Bei denen da drinnen musst du dir genau überlegen, was du sagst. Die werden jedes Stottern bemerken.« Sein Kopf nickte in Richtung des Zeltes. Der Druck seiner Finger auf ihrem Oberarm ließ nach. Schließlich legte er ihr die Hand auf die Schulter, zog sie zu sich heran und flüsterte ihr ins Ohr: »Er hat uns nicht verraten, mach dir keine Sorgen. Für ihn lege ich meine Hand ins Feuer.«
    Sie versuchte zu lächeln.
    »Vergiss nicht: Kein anderer Patient darf uns jetzt so wichtig sein wie Seume«, insistierte der Feldscher. »Es muss uns was verdammt Gutes einfallen, Rupprechts Fehlen zu erklären.«
    Ungeduldig wurde in diesem Moment die Plane am Zelteingang zurückgeschlagen, und die düstere Miene des Generalauditors tauchte auf. Trotz der widrigen Umstände war sein schwarzer Kinnbart frisch gestutzt, das üppige, wellige Haupthaar ordentlich nach hinten frisiert und seine Kleidung – angefangen bei dem hochmütig über die linke Schulter drapierten Imponiermantel bis hinunter zu den hellen, weiten Kniehosen – tadellos. Nicht der geringste Spritzer auf den Stiefeln verriet, dass er eben erst von seinem Quartier oben in der Stadt über die vom Regen aufgeweichten Felder ins Heerlager hinuntergeritten war.
    »Endlich!«, stieß er beim Anblick des Feldschers aus. »Wenn Ihr den Tod des Profos verhindern wollt, wird es höchste Zeit.« Schwungvoll setzte er sich den Schlapphut auf, wobei die überlangen roten Federn nicht ohne Absicht Meister Johann mitten durchs Gesicht schleiften. Während er das reichbestickte Seidenwams unter dem Mantel glatt strich, behielten seine dunklen, wütend funkelnden Augen den Feldscher im Visier. »Sollte Seume sterben, dann gnade Euch Gott!« Er tippte das Leder seiner langen Handschuhe gegen Meister Johanns Brust und wandte sich grußlos ab.
    In seinem Gefolge schlüpften zwei weitere Offiziere aus dem Zelt, schenkten Magdalena und Meister Johann allerdings keinerlei Beachtung. Sie mussten sich sputen, wollten sie den Auditor nicht verärgern. Er hatte schon sein nervös tänzelndes Ross bestiegen und trabte mitten über den Richtplatz davon. Im Weg liegende Galgentrümmer übersprang der elegante Schimmel ohne Zögern. Den Zimmerleuten, die mit dem Wegschaffen der Holzbalken beschäftigt waren, blieb kaum Zeit, sich zu ducken.
    22
    Im Innern des Zeltes herrschte gespenstische Ruhe. Der Vorhang zum hinteren Teil war straff gespannt. Nirgendwo schien eine Lücke, durch die auch nur ein Mäuslein hätte schlüpfen können. Das Geschehen spielte sich im vorderen Bereich ab. Talglichter und Laternen mussten weiter für Helligkeit sorgen. In einem schmiedeeisernen Ständer brannte eine Fackel, auch eine Handvoll Öllichter waren auf einer Truhe verteilt. Einer der Steckenknechte füllte eine Schale mit Kienspänen, sogar ein Leuchter mit mehreren kostbaren Wachskerzen wartete darauf, angezündet zu werden. Der Geruch nach feuchtem Stoff, Schweiß und Urin war beißend. Die vielen Lichter ließen die Luft in der engen Unterkunft noch stickiger werden.
    »Achtung!« Ohne Vorwarnung riss der zweite Steckenknecht die Plane auf und kam mit einem brodelnden, dampfenden Kessel Wasser herein, den er draußen über dem Feuer erhitzt hatte. Erstaunt über so viel Umsicht, nickte Magdalena ihm zu. Dabei fiel ihr auf, dass sogar an das Bereitlegen frischer Leintücher gedacht worden war. Hatten Seumes Gehilfen nicht letzte Nacht erst erklärt, dass sie solche Krankenpflegedienste als unter ihrer Würde empfanden? Fragend blickte sie zu Meister Johann, der sie jedoch nicht beachtete.
    Stattdessen überprüfte er, was ihm für den Eingriff noch fehlte. Leise erteilte er den

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