Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
Vom Netzwerk:
Wahrscheinlich hat er dort alle Hände voll zu tun. Die Schüsse hören gar nicht mehr auf. Scheint so, als wären alle froh, endlich mit ihren Kanonen, Musketen und Piken loslegen zu dürfen.«
    »Komm mit.« Unversehens fasste er sie am rechten Handgelenk und zog sie hinter das Zelt.
    Im ersten Moment wich sie entsetzt zurück. Das konnte nicht sein, nein, das durfte nicht sein! Um nicht laut aufzuschreien, schlug sie sich die Hand vor den Mund, zwang sich allerdings, gleich noch einmal hinzusehen. Im aufgeweichten Boden lag ein Mensch. Zunächst war nicht viel mehr von ihm auszumachen als ein heller Haarschopf und lange, arg verkratzte Beine sowie nackte Füße. Den Rest verbarg eine muffige Pferdedecke. Vorsichtig lupfte sie einen Zipfel. Noch einmal fuhr sie zurück. Ihr Herz schlug Purzelbäume, vor ihren Augen verschwamm alles. Nein, sie musste sich täuschen. Es war völlig unmöglich, dass Eric da vor ihr lag! Sie hatte ihn doch im Zelt zurückgelassen, hinter dem straff gespannten Vorhang. Wie sollte er ohne Hilfe hierhergelangt sein, noch dazu dicht vorbei an Seume? Fragend sah sie hoch zu Meister Johann. Sein Gesicht blieb verschlossen.
    »Auf so einen hast du doch gewartet«, sagte er leise. »Das ist genau der, den du brauchst, um Eric zu retten.«
    »Ja.« Ihr wurde schwarz vor Augen. Damit war die Entscheidung gefallen, es gab kein Zurück. Meister Johann hatte nicht lang gezaudert, sondern die erstbeste Gelegenheit beim Schopf gepackt. Sie wagte nicht einmal zu fragen, woher er von ihrem Plan mit dem Austausch der Männer wusste. Bislang hatte sie nur mit Rupprecht darüber gesprochen. Wieder wandte sie sich dem Mann auf dem Boden zu.
    Die Ähnlichkeit war verblüffend. Im Sterben musste er in den Schlamm gefallen sein. Das Haar wie der restliche Körper und die Kleidung starrten vor Dreck. Die sichtbaren Haarsträhnen waren jedoch eindeutig hell, wenn nicht gar rotblond wie bei Eric. Auch ließ die zusammengekrümmte Haltung auf einen großgewachsenen Mann von schlanker Statur schließen. Am Hinterkopf zeugte eine dicke Blutkruste von einer Wunde. Sie bückte sich tiefer und drehte den Schädel, um das Gesicht zu sehen. Selbst das Alter stimmte! Die Augen waren gebrochen. Kein Zweifel: Der Mann war tot. Gleichzeitig erkannte sie einen wichtigen Unterschied: Dieser hier hatte grüne und keine tiefblauen Augen wie Eric. Seltsamerweise fühlte sie sich dadurch getröstet.
    Langsam richtete sie sich auf und sah den Feldscher erneut an. »Dem können wir also nicht mehr helfen, er aber uns. Weißt du, wer er ist?«
    »Das spielt keine Rolle.«
    »Doch.« Ohne dass sie es sich erklären konnte, sträubte sich etwas in ihr. Warum nur? Letztens nachts, als sie die Flucht schon einmal geplant hatten, war sie sich ihrer Sache sicherer gewesen. Doch da hatte sie noch nicht diesen tückischen Plan mit dem Austausch der Verwundeten ersonnen, ganz abgesehen davon, dass es zwei Paar Schuhe waren, sich etwas auszudenken und es dann wirklich zu tun. »Was, wenn ihn jemand erkennt? Wenn jemand sieht, dass mit ihm der Falsche an den Galgen soll?«
    »Für solche Überlegungen ist es zu spät.« Meister Johann wurde ungeduldig. Er fasste sie an beiden Armen und schüttelte sie leicht. »Komm schon, Magdalena: jetzt oder nie! Hast du nicht einen wie den hier gesucht? Sieh ihn dir an: groß und rotblond. Selbst du hast ihn im ersten Moment für Eric gehalten, das habe ich dir angesehen.« Er zog sie näher zu sich heran: »Und wenn du ihn schon für Eric hältst, werden die anderen es erst recht tun! Also komm, Mädchen, bringen wir ihn rein und schaffen Eric in Sicherheit, bevor die Steckenknechte vom Kampf zurückkommen oder Seume aufwacht.«
    Er bückte sich und legte dem Toten die Arme um die Brust. Gleichzeitig bedeutete er ihr mit dem Kopf, dass sie ihn an den Füßen nehmen sollte. Sie zögerte, betrachtete den Toten, dann den Feldscher, schließlich wieder den Toten.
    »Lass mich erst prüfen, ob Seume wirklich noch ohne Bewusstsein ist.« Ohne eine Antwort abzuwarten, schlüpfte sie ins Zelt.
    Das trübe Licht und die Stille taten gut und ließen sie ruhiger werden. Sie musste unbedingt noch einmal mit Eric sprechen. Doch Vorsicht war angeraten. Seume lag nicht mehr in der gleichen Position auf dem Lager, in der sie ihn zurückgelassen hatte. Vermutlich war er für kurze Zeit wach geworden und hatte sich gewundert, allein zu sein. Beim Umherschauen musste er verrutscht sein. In Fieberschüben wälzte er sich

Weitere Kostenlose Bücher