Die Wundärztin
sich aber, dass es besser so war. Geduldig ließ er geschehen, dass sie ihm den Schädel nahezu vollständig verband. Ein Auge verschwand ganz unter dem Leinen. Das hatte den Vorteil, dass sie einen Großteil des Gesichts abdecken konnte. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk und prüfte kurz den Sitz des Verbands. So schnell würde er nicht verrutschen, selbst im Laufen nicht. Mit den Fingern verteilte sie etwas von der roten Salbe auf dem Verband. Es sah täuschend echt aus. Eric räusperte sich. Rasch sammelte sie die Tiegel ein und legte das schmutzige Leinen bereit, um damit den Toten zu verbinden.
»Komm mit! Hol auch Carlotta. Dann wird alles gut.«
Die Erwähnung des Kindes traf sie wie ein Schlag in die Magengrube. Einen Augenblick lang hielt sie inne, sie hatte das Gefühl, der Boden sackte unter ihr weg. Mühsam schluckte sie und stützte sich mit den Händen ab, um Halt zu finden.
»Nein«, entgegnete sie tonlos und räusperte sich. »Das wäre zu gefährlich. Damit die Täuschung gelingt, muss ich mit ihr im Lager bleiben. Solange
ich
den Toten für dich ausgebe, werden das alle anderen auch glauben. Keiner wird nach dir suchen. Das gibt dir ausreichend Gelegenheit, dich in Sicherheit zu bringen. Carlotta und ich, wir kommen nach.«
»Versprich es mir!« Inständig bohrte sich sein Blick in den ihren. Sie hielt es nicht aus und wandte sich ab.
Vor dem Zelt wurde es unruhig. Ganz nahe waren Stimmen zu hören. Sie mussten sich beeilen. Die Gefahr, dass ihr Plan doch noch vereitelt wurde, wuchs mit jedem Moment. Der Regen verstärkte sich wieder. Nicht mehr lang, und das Schießen würde eingestellt, weil der Zunder feucht wurde. Sie mussten dringend raus aus dem Zelt. Meister Johann würde sich gewiss schon fragen, warum sie so lange brauchte. Eins aber musste sie noch klären, bevor Eric verschwand.
»Geht es Seume ausschließlich um euren Handel? Will er dich wirklich nur deshalb töten, weil du ihn übers Ohr gehauen hast?« Mehr wisperte sie die Frage, als dass sie sie verständlich aussprach. Sie wagte nicht, ihn dabei anzusehen, zu groß war die Angst, das in seiner Miene zu entdecken, was sie zutiefst fürchtete: die Wahrheit – dass er am Ende doch etwas mit dem Mord an den Soldaten zu tun hatte.
»Worum sollte es schon gehen? Um Geld natürlich, um nichts anderes. Die kleine Kiste, die drüben bei Seume steht, gehört mir. Sieh zu, dass du an sie rankommst. Was drinnen ist, ist für dich. Nimm es, bitte!« Als sie entrüstet den Kopf schüttelte, ergänzte er: »Tu es für Carlotta, ich flehe dich an!«
»Magdalena!« Energisch wurde der Vorhang zurückgerissen, und Meister Johann stand vor ihr. Erschrocken fuhr sie herum. »Wo bleibst du? Bis Weihnachten können wir nicht mehr warten. Komm schon, lass uns den anderen reinholen, bevor jemand auftaucht und alles zu spät ist.«
Damit fasste der Feldscher sie am Arm und zog sie aus dem Zelt. Eric hatte er nur einen knappen Blick zugeworfen. Auch der wich ihm aus. Vielleicht freute es ihn, durch Meister Johanns überraschendes Auftauchen weiterer Nachfragen enthoben zu sein.
28
Eisige Regenböen fegten über das flache Land und ähnelten mehr Herbststürmen denn lauen Sommerwinden. Der feindliche Überfall an der nordwestlichen Flanke des Lagers war weitaus heftiger als erwartet. Mehrere Stunden mochte das Scharmützel schon andauern. Vom Kampfplatz wehten immer wieder einzelne Fetzen von Geschrei, Kanonendonner und Schüssen herüber. Magdalena und Meister Johann mussten möglichst bald dort auftauchen, um den anderen Wundärzten beizustehen. Höchste Zeit, Eric gegen den Toten auszutauschen, während die Männer auf dem Schlachtfeld waren und sich die Frauen und Kinder nicht aus den Unterkünften wagten.
Als Magdalena zur Rückseite des Zeltes kam, lag der Tote noch so, wie sie ihn zurückgelassen hatte. Meister Johann hatte ihm nicht einmal die Augen zugedrückt. Leer stierten sie in den wolkenverhangenen Himmel. Seit Eintreten des Todes war schon viel zu viel Zeit vergangen. Von Kinn und Nacken breitete sich bereits die Starre aus. Magdalena und Meister Johann taten sich schwer, den Leichnam zu heben. Die zusammengekauerte Haltung des Toten ließ kaum geeignete Stellen zum Anpacken finden. Ächzend versuchte Magdalena, ihn an den nackten Fußgelenken zu fassen und hochzuhieven. Seine Stiefel mussten sofort nach seinem letzten Atemzug dankbare Abnehmer gefunden haben. Weiß und zart leuchteten die Fußsohlen auf. Dass sich keiner der
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