Die Wundärztin
restlichen, guterhaltenen Kleidung bedient hatte, lag wohl daran, dass der Feldscher anderen Abnehmern zuvorgekommen war. Magdalena wunderte sich, wie es ihm gelungen war, den Mann ohne Hilfe herzubringen. Meister Johanns eigener Zustand erbarmte sie derart, dass sie ihm am liebsten erst einmal selbst geholfen hätte.
Auch zu zweit brachten sie es kaum zuwege, den Toten in Seumes Zelt zu schaffen. Wenigstens betäubte der Branntwein den Profos zuverlässig. Sein wohliges Grunzen ließ darauf schließen, dass er sich einem tiefen, angenehmen Traum ergab. Friedlich lag er neben seiner Strohschütte. Als sie den leblosen, steifen Körper des Toten an ihm vorbeischleiften, stöhnte er nicht einmal auf. Hinter dem Vorhang hatte Eric sich bereits von der Matte erhoben und wartete im Sitzen. Die Schweißperlen auf seiner Stirn verrieten die Anstrengung, die das für ihn bedeutete. Dennoch half er mit, den Toten seiner Kleidung zu entledigen. Immer wieder mussten sie grob reißen. Die erstarrten Glieder gaben den Stoff nicht frei.
»Zieh dich aus«, wies Magdalena Eric an. »Er muss deine Sachen tragen. Damit keiner Verdacht schöpft, soll er selbst deine blutverschmierten Verbände um den Leib haben.« Behutsam half sie Eric aus dem Hemd und zog ihm die Hose aus. Oft genug entkleidete sie zwar ihre Patienten, dennoch beschämte es sie nun, Eric im Beisein Meister Johanns nackt zu sehen. Er schien ihre Verlegenheit zu teilen und deckte seine Blöße mit den Händen ab. Hastig streifte sie ihm die feuchte Hose des Toten über.
»Vorsicht!« Brüsk schlug der Feldscher ihr auf die Finger. »Nicht dass die Naht noch einmal aufreißt.«
Voller Abscheu erduldete es Eric, dass sie ihm in die restlichen Kleidungsstücke des anderen half. Auch sie biss sich angewidert auf die Lippen. Der Stoff stank, was nicht allein an der Feuchtigkeit und den Körpergerüchen des Toten lag. Vermutlich war er sterbend in Unrat gefallen. Endlich waren sie fertig.
»Jetzt kommt der schwierigste Teil«, sagte Meister Johann, der mittlerweile dem Toten die Verbände täuschend ähnlich wie Eric angelegt hatte. »Wir müssen unauffällig hier rauskommen.«
»Und wohin?« Magdalena dachte mit Schrecken daran, dass sie die Frage noch nicht geklärt hatten. Es war alles zu schnell gegangen. Regelrecht überrumpelt hatte der Feldscher sie vorhin mit dem Toten. Zu ihrem Wagen konnten sie Eric keinesfalls bringen. Die Entfernung war zu groß, sie hätten mitten durch das Lager gemusst, da der Weg am Rand der Zelte von Patrouillen bewacht wurde. Obendrein war das der Ort, an dem bei Misslingen der Täuschung zuerst nach ihm gesucht würde. Noch weniger war daran zu denken, dass sie beide ihn außerhalb des Lagers bringen konnten, ganz zu schweigen von der Höhle, die Rupprecht hatte vorbereiten wollen. Die war nicht nur zu weit entfernt, sondern bei Tageslicht auch nicht unauffällig zu erreichen.
»Roswitha wird uns helfen.« Meister Johann erahnte Magdalenas Gedankengang. »Entweder er bleibt bei ihr, oder sie weiß jemanden, zu dem sie ihn bringen kann. Ihr wagt niemand, etwas abzuschlagen. Kommt, lasst uns gehen. Wir haben schon viel zu viel Zeit vertan.«
Ächzend und mit schmerzverzerrtem Gesicht erhob Eric sich. Als er aufrecht stand, hielt er schwer atmend inne. Die Farbe wich aus seinem Gesicht, die Lippen bebten. Der Feldscher griff vorsichtig um seinen Leib und legte ihm den rechten Arm um die Schulter. Magdalena stützte ihn auf der anderen Seite. Langsam wankten sie hinaus. Seume schlief tief und fest.
29
Der Verletzte kämpfte, wand sich, brüllte und weinte. Magdalena atmete schwer. Mit müden Fingern presste sie das Leintuch auf die offene Wunde an der Schulter und stoppte die Blutung. Endlich konnte sie das Tuch wegnehmen. Dick trug sie den Wundbalsam auf. Ein Pflaster aus getrockneten Eibischblättern bildete den Abschluss. Das unmenschliche Schreien des Patienten ließ nicht nach. Sie seufzte. Schon der Anblick des Verwundeten dauerte sie. Inzwischen arbeitete sie schon ein halbes Dutzend Jahre an der Seite Meister Johanns und Rupprechts als Wundärztin, doch zum ersten Mal beschlich sie das Gefühl, es nicht mehr zu ertragen. Kaum war einer notdürftig versorgt, tauchte bereits der Nächste auf, der gerettet werden wollte.
Der war im Gegensatz zu seinem Vorgänger nur mehr zu kläglichem Wimmern fähig. Rasch wischte sie ihm das Gesicht und entdeckte eine kleine Narbe unterhalb des Kinns. Franz! Ungläubig starrte sie ihn an.
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