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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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südwestlichen Rand stand. Von Elsbeth und Carlotta wusste sie nichts. Sie konnte nur hoffen, dass die Cousine sich im Zweifelsfall zu wehren und auch die Kleine zu verteidigen wusste. Wenn sie die Geräusche richtig interpretierte, waren die Männer ohnehin nicht in Richtung von Meister Johanns Wagen ausgeschwärmt.
    Wenigstens die beiden Steckenknechte könnten sich doch blicken lassen! Seltsam, dass sie beim Signal zum Sammeln ebenfalls zu den Truppen gelaufen waren. Wüsste sie, wie lang sie fortblieben, könnte sie Eric fortbringen. Fürs Erste würde sich Roswitha sicher gern seiner annehmen. Doch das konnte sie kaum wagen. Schade um die Gelegenheit. Sie traute sich nicht, hinter den Vorhang zu blicken. Längst musste Eric die Veränderung bemerkt und die günstige Möglichkeit zur Flucht erahnt haben. Schon bei dem Gedanken, wie flehentlich er sie ansehen würde, schnürte es ihr die Kehle zu. Sie erhob sich und ging unruhig auf und ab. Schließlich trat sie vor das Zelt.
    Der Regen hatte aufgehört. Dunkelgrau zogen die schweren Wolken vorüber. Ein eisiger Wind fegte durch die Zeltgassen. Alles war menschenleer. Zögernd ging sie zum nächsten Zelt und blickte hinein. Auf einem umgedrehten Fass lagen Würfelbecher. Die Augen auf dem knöchernen Würfel hatten gerade noch jemandem einen kleinen Triumph beschert. Abgeworfene Spielkarten verteilten sich überall über den gestampften Lehmboden. Die Männer mussten bei Ertönen des Signals Hals über Kopf ihr Spiel abgebrochen haben und davongestürmt sein. Lediglich die Branntweinschläuche hatten sie mitgenommen. Die Aussicht, das lange Dürsten nach direktem Kampf endlich stillen zu können, erklärte auch, warum die Steckenknechte sogar den Gefangenen in Seumes Zelt im Stich gelassen hatten. Glaubten sie wirklich, dass Magdalena die Situation nicht ausnutzen würde? Warum auch? Allgemein war bekannt, dass die rote Magdalena eine überzeugte Kaiserliche war. In der Vergangenheit hatte sie oft genug bewiesen, wie treu sie zu den Ihren stand. Die Szene vorhin, als sie Seume das Skalpell an die Kehle gesetzt hatte, beschämte sie. Sie brachte es nicht einmal fertig, ein allseits verrufenes Scheusal zu beseitigen. Dabei zuckte Seume im umgekehrten Fall nicht mit der Wimper, bevor er zustach. Der Gedanke versetzte ihr einen Stich.
    In der Ferne erklang abermals ein Trompetenstoß, Trommelwirbel folgten. Der Wind musste gedreht haben. Wenn sie genau hinhörte, vernahm sie nun eindeutige Kampfgeräusche. Schüsse knallten. Blechern schlugen Piken gegeneinander. Dazwischen brüllten und schrien die Soldaten. Zweifelsohne galt es, sich und den Kameraden Mut zu machen sowie den Gegner durch bestialisches Getöse einzuschüchtern. Dem Lärm nach waren mehr als nur ein Dutzend Angreifer an einer unbefestigten Seite in das Lager eingedrungen. Rupprecht hatte recht: Das verhieß Arbeit für die Feldscher. Gerade das unkontrollierte Aufeinandertreffen der verfeindeten Kompanien ging oft übel für Leib und Leben der Söldner aus. Lange würde sie sich also nicht mehr um Seume und Eric kümmern können. Damit rückte der Zeitpunkt näher, sich endgültig zu entscheiden: für oder gegen die Flucht.
    Sie atmete tief durch, spürte noch immer diesen letzten kleinen Rest Zweifel tief in ihrem Herzen. Sie musste sich aber zu etwas durchringen. Jetzt. Es war die letzte Gelegenheit.
    27
    Meister Johann war immer noch in einem erbärmlichen Zustand. Magdalena erschrak zutiefst, als er sie bei der Rückkehr vor dem Zelteingang erwartete. Die verquollenen Augen und das verzerrte Gesicht ließen auf starke Kopfschmerzen schließen. Seine Unterlippe hing noch mehr herab als sonst, die grauen Bartstoppeln sprossen an Kinn und Wangen, das Haar klebte am Kopf. Nur mit Mühe gelang es ihm, sich aufrecht zu halten. Er torkelte vor und zurück, ruderte gelegentlich mit den Armen. Schon wollte sie ihn ins Trockene des Zeltes zerren, da wehrte er sie brüsk ab.
    »Wer ist da drin?« Barsch wies er mit dem Kopf ins Innere. Die Worte kamen erstaunlich deutlich, kein Lallen oder Verschlucken einzelner Silben.
    »Wer schon? Seume natürlich. Oder denkst du, er wäre schon wieder auf den Beinen, um mitzukämpfen?«
    »Sonst niemand?«
    »Was fragst du? Hast du nicht mitbekommen, dass es einen Angriff gegeben hat? Die Männer sind alle fort. Auch die Steckenknechte haben nicht gezögert wegzurennen. Am anderen Ende des Lagers muss es einen Angriff gegeben haben. Sogar Rupprecht ist verschwunden.

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