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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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gepackt war. Hie und da warf sie einen Blick unter eine weniger straff gespannte Persenning. Doch nirgends war eine Spur von Elsbeth und Carlotta zu entdecken. Als die Dämmerung anbrach und man auch ohne Fackeln besser sehen konnte, formierte sich der schier endlose Heereszug. Ein Mann von der reitenden Patrouille scheuchte Magdalena mit einem Stock beiseite. Rasch lief sie in die entgegengesetzte Richtung davon. Sie wusste auch so, dass es wenig Sinn hatte, weiter nach Elsbeth und dem Kind Ausschau zu halten. Entweder kauerte die Cousine längst gut verborgen auf einem der vielen Wagen, oder sie hatte sich, mit einem Tuch verhüllt, ins Gedränge des Fußvolks gemischt.
    In Gedanken ging Magdalena die immer gleiche Abfolge des Zuges durch, um sich weitere Möglichkeiten vorzustellen. Wenn sie geschickt genug war, konnte sie sich im Lauf des Marsches an geeignete Stellen heranpirschen. An der Spitze des Zuges fanden sich der Führer und die erste Patrouille, dicht gefolgt von den Brückenmeistern mitsamt ihren Handlangern und den Zimmerleuten. Daran schlossen sich die Marschkolonnen der kämpfenden Verbände an. Erst die folgenden Bataillone des Fußvolks boten die Möglichkeit für Elsbeth unterzuschlüpfen, ohne dass sie den Zorn eines Patrouillengängers auf sich zog. Nachdenklich betrachtete Magdalena die weit vorweg marschierenden Verbände.
    Sonne, Wind und die vielen Kriegsjahre hatten die ehemals stolzen, bunten Fahnen, Banner und Standarten in bleiche, zerfetzte Tücher verwandelt. Dennoch reckte jeder Fähnrich weiterhin stolz die guten Stücke seiner Truppe in die Höhe. Der Wald der Piken klapperte so vehement gegeneinander, dass es selbst auf große Entfernung hin gut zu hören war. So manche Muskete ragte ebenfalls steil nach oben. Abgerissen und müde präsentierten sich jene Männer, die vorgestern noch kühn den Schweden um Wrangel die Stirn geboten hatten. Ihre Röcke waren dreckverschmiert, das Leder der Stiefel kaum mehr als solches erkennbar, die Patronengürtel quer über die Brust gähnend leer. Schief saßen die Filzhüte auf den müden Schädeln, durchlöchert und aufgeritzt. Dennoch zeigten die Männer große Entschlossenheit, mit erhobenen Häuptern weiterhin hinter Johann von Werth zum nächsten Schlachtfeld zu ziehen. Die Patrouillen hatten mehr Mühe, das nachfolgende Durcheinander der Wagen, Karren und Fuhrwerke von den Tausenden Trossleuten auf Linie zu bringen, als dass sie desertierenden Söldnern hinterherrennen mussten.
    Im Gewühl der Aufbrechenden bahnte Magdalena sich einen Weg ans hintere Ende des Zuges. Wieder und wieder hob sie eine der Abdeckungen hoch, die straff über die Fuhrwerke gespannt waren. Jedes Mal starb ein weiteres Stück Hoffnung, irgendwo doch noch auf Elsbeth und Carlotta zu stoßen. Mehr als einmal riss sie eine weitere in Tücher und Decken gehüllte Frau unsanft herum, weil sie der Täuschung erlag, es handele sich um die Cousine. Wieder erntete sie entrüstete Aufschreie oder gar weitere schmerzhafte Maulschellen. Dass die Feldherren ausgerechnet an diesem Morgen zum Aufbruch drängten, war das Schlimmste, was ihr nach Carlottas Verschwinden hatte passieren können.
    Magdalenas Beine wurden schwer, sie spürte, wie ihr die Kräfte schwanden. Erschöpft stützte sie sich schließlich am erstbesten Wagen ab.
    »He du! Scher dich zum Teufel. Das ist mein Wagen. Fort mit dir, du räudige Hure! Lass dir vom Trossweibel deinen Platz anweisen.« Dicht vor ihrer Nase knallte eine Peitsche. Fast hätte die Schmitze am Ende der Schnur ihre Wangen aufgeschlitzt. Der Knall zerriss ihr schier die Ohren. Ein bärtiger, grobschlächtiger Mann zerrte sie vom Wagenkasten weg. »Nimm deine dreckigen Pfoten von meinem Zeug!« Hasserfüllt blitzten seine hellen Äuglein sie an. »Fort mit dir! Solche wie dich können wir hier nicht brauchen.«
    »Mach langsam, Meister! Siehst du nicht, wen du da vor dir hast?« Zwischen den Zugochsen drängte sich Meister Johann hindurch und packte den Peitschenschwinger am Arm. »Wenn du meiner Gehilfin auch nur ein Haar krümmst, kriegst du es mit mir zu tun.«
    »Deine Gehilfin? Dann ist das die rote Magdalena?« Ungläubig ließ der Grobschlächtige die Peitsche sinken. »Nie und nimmer hätte ich die erkannt.« Mit der freien Hand kratzte er sich am Schädel und musterte sie. Magdalena hob den Blick und sah ihn müde an. Sein Gesichtsausdruck spiegelte wider, wie furchtbar sie aussehen musste: Der Dauerregen hatte sie völlig

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