Die Wundärztin
wandte sich dann an Roswitha und Meister Johann, die neben dem Zugochsen standen. »Wenn zwischenzeitlich hier hinten das Signal zum Aufbruch ertönt, wartet nicht auf mich. Zieht einfach los. So schnell kommt ihr sowieso nicht voran. Ich werde euch schon finden.«
Bevor der Feldscher oder Roswitha noch etwas sagen konnten, drehte sie sich um und rannte davon. Ihr Ziel war der Berg im Nordwesten, auf dem majestätisch die Stadt thronte. Gerade linsten die ersten zarten Sonnenstrahlen zwischen den Wolken hindurch. Wenn sie Glück hatte, fand nicht nur die Sonne ihren Weg zurück in die trostlose Gegend. In der Dachshöhle würde es endlich hell genug sein, um Spuren zu entdecken. Erst vorige Nacht war sie dort gewesen. Doch der Schein der Fackeln hatte nicht ausgereicht, um Hinweise auf den Verbleib von Eric zu entdecken. Vielleicht stieß sie dort bei Tageslicht auf eine Spur von Carlotta oder Elsbeth. Danach hatte sie in der Höhle nicht gesucht. Und je länger sie darüber nachdachte, desto wichtiger erschien es ihr. Es konnte kein Zufall sein, dass die drei zur selben Zeit verschwunden waren. Doch was führte Elsbeth im Schilde? Anders als Roswitha hielt sie die Cousine inzwischen für mit allen Wassern gewaschen.
34
Wie ein endloser Wurm schlängelte sich der Heereszug der Kaiserlichen mit dem riesigen Tross durch die Felder. Auf einem kleinen Felsvorsprung unweit der Höhle, die Eric als Versteck gedient hatte, stand Magdalena und betrachtete das Spektakel von oben. Zu ihrer großen Enttäuschung hatte sie nichts in dem Versteck gefunden, was auf eine Anwesenheit Elsbeths und Carlottas hingewiesen hätte. Der Regen hatte die Spuren rund um die Höhle gründlich weggewaschen, so dass nicht auszumachen war, wie viele Menschen sich dort aufgehalten hatten. Trotzdem war sie überzeugt, dass Elsbeth hier gewesen und gemeinsam mit Eric und der Kleinen von der Höhle aufgebrochen war. Die Cousine war die Einzige, die außer ihr, Roswitha, Rupprecht und Meister Johann von der Flucht Erics gewusst hatte. Und sie war die Einzige, der Eric so weit vertraute, dass er sich von ihr helfen ließe. Und wie hätte er die Flucht allein bewerkstelligen sollen? Immerhin hatte sie vorgestern noch seine Wunden untersucht und neu verbunden. Wie aber waren die drei so schnell von hier weg? Und vor allem: Wohin waren sie geflohen?
Magdalenas Augen schweiften umher. In der weitläufigen Ebene waren sowohl die gutsortierte vordere Hälfte des Heereszugs mit den Soldaten, der Reiterei und den Zimmerleuten leicht zu überblicken als auch der ungeordnete Teil aus Hunderten von Fouragewagen, Karren und einer großen Menge abenteuerlichster Fuhrwerke. Übergangslos schlossen sich die Pikeniere an. Im Rhythmus der Marschtrommeln marschierten sie, begleitet von einer kaum zu überschauenden Zahl Fußvolk. Um sie herum bemühten sich die berittenen Patrouillen, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Trommelwirbel begleiteten das emsige Gemurmel und Gezeter menschlicher Stimmen, die bis hinauf zu Magdalenas Posten am Berghang zu hören waren. Ein ausgezeichneter Ort für die drei, um sich zu verstecken, schoss es ihr durch den Kopf, natürlich nur dort, wo man sie nicht kannte, also außerhalb ihres gewohnten Fähnleins oder Quartiers im Tross.
Die Sonne hatte sich inzwischen so weit aus den Wolken herausgeschält, dass die klammen Planen über den Wagen trocknen konnten. Auch der Boden wurde wieder härter, so dass die Wagenräder, waren sie erst einmal im Rollen, nicht mehr so leicht im Schlamm stecken blieben. Bald musste Magdalena die Augen gegen die gleißende Helligkeit mit der flachen Hand abschirmen. Die tagelang vermisste Wärme auf der Haut zu spüren tat gut. Hin und wieder knallten in der Ebene Schüsse, auch das Klirren der Piken und Säbel war nicht zu überhören. Die Patrouillen hatten alle Hände voll zu tun, um den bunten Zug der Infanteristen in Schach zu halten. Erst der Abschnitt mit den Geschützen, Lafetten, Kugel- und Panzerkarren und dahinter die Rüstwagen, die dem Tross folgten, machten einen wohlorganisierten Eindruck. In einigem Abstand würde ihm die Nachhut folgen, die aber zahlenmäßig kaum ins Gewicht fiel. Gut eine deutsche Meile mochte der Zug insgesamt lang sein. Zwar hatten einige hundert Menschen während der entbehrungsreichen Wochen vor Amöneburg dank Hunger, Seuchen und Hitze ihr Leben lassen müssen, dennoch schien das Aufgebot an Männern, Frauen und Kindern nicht wesentlich kleiner als bei der Ankunft
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