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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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vor gut einem Monat.
    Das Gewühl des Trosses bot Eric, Elsbeth und Carlotta tatsächlich die sicherste Möglichkeit, unentdeckt zu entkommen. Niemand hatte den Überblick, wer wohin gehörte. Weitab ihres gewohnten Fähnleins würde keiner die drei erkennen. An allen Ecken und Enden stießen Fremde hinzu, ohne Aufsehen zu erregen. Dafür kamen sie innerhalb des Heereszugs sicher vorwärts, was ihnen außerhalb des Zuges, allein auf sich gestellt, kaum möglich war. Magdalena umklammerte mit der einen Hand den Bernstein, wischte sich mit der anderen über die Augen und betrachtete weiter die Menschenmenge, die sich quer durch die Ebene Richtung Süden schlängelte. Tränen rannen ihr über die Wangen. Was hatte sie nur getan? War Erics Rettung es wert gewesen, Carlotta zu verlieren?
    Immer verzweifelter wanderte ihr Blick über die Massen dort unten. Kaum eine Stadt in den deutschen Landen zählte noch so viele Einwohner, wie Heer und Tross an Menschen mit sich schleppten. Für Tausende war der riesige Zug zur Heimat geworden, wie auch Magdalena zeit ihres Lebens nie ein anderes Leben kennengelernt hatte als dieses unstete Umherziehen im Schatten der Kanonen und Lafetten. Bayern hieß das neue Ziel. Im Süden, so raunte man, seien die Kornkammern noch gut gefüllt und die Vorratskästen randvoll mit Nahrungsmitteln. Auch das Bier fließe im Land des unerbittlichen Kurfürsten Maximilian ohne Unterlass. Zwar hatten die schwedischen Feldzüge unter Gustav Adolf vor gut einem Dutzend Jahren das Land zwischen Isar und Lech erheblich verwüstet, doch hatten die Menschen sich in der Zwischenzeit wieder von dem ärgsten Schrecken erholen und ihre Speicher auffüllen können. Für einen Augenblick schien sich der gewaltige Wurm vor Magdalenas Augen in ein bedrohliches Ungetüm zu verwandeln.
    Eine düstere Ahnung überfiel sie, was es bedeutete, nach einer kurzen Verschnaufpause, in der die ersten Felder wieder bestellt, die Ernten wieder eingebracht und der Viehbestand aufgestockt worden war, abermals mit dem Auftauchen der Truppen konfrontiert zu werden. Rücksichtslos wälzte sich das Ungetüm aus Regiment und Tross durch die Ebene. Dabei hatte das Scheusal auch ihre geliebte Carlotta verschlungen, ebenso wie es die Liebe zu Eric, die sie überhaupt erst zu der verrückten Tat angestiftet hatte, längst unter sich begraben hatte. Nichts blieb von ihrem bisherigen Leben übrig, alles, was sie besessen hatte, hatte sie hier vor Amöneburg für immer verloren.
    Ähnlich mussten sich die Menschen fühlen, wenn ihnen das Nahen des Heereszugs angekündigt wurde. Selten konnte jemand rechtzeitig fliehen oder gar sein Hab und Gut in Sicherheit bringen. Alles wurde plattgemacht und zerstört. Zog die Bagage aus einer Gegend ab, bildete ödes Brachland die wenig ruhmreiche Hinterlassenschaft. Auch jetzt erstreckte es sich bis zum Horizont und taugte so schnell nicht wieder als Ackerland. Tiefe Furchen durchpflügten den Boden. Die vielen Zelte, Wagen, Stiefel und Hufe hatten ihre Spuren eingegraben. Selbst der letzte Grashalm war ausgerissen und der kleine Fluss Ohm am östlichen Rand der Ebene vollkommen verdreckt, so dass nach Abzug der Regenfront der faulige Gestank des Wassers schwer in der Luft lag. Die Feuerstellen und Latrinen sowie die gewaltigen Unratberge taten ein Übriges, das Land im wahrsten Wortsinn zu verheeren.
    Dabei befand sich das eigentliche Schlachtfeld, auf dem sich die Kaiserlichen mit den Schweden vor zwei Tagen das heftige Scharmützel geliefert hatten, noch ein gutes Stück weiter ostwärts. Notdürftige Gräberfelder umrandeten es, flankiert von Feuerstellen, an denen die abgetrennten Gliedmaßen verbrannt worden waren. Magdalena war auf einmal, als stiege ihr der süßliche Geruch in die Nase. Angewidert schüttelte sie sich. Nein, dort unten würde sie keine Heimat mehr finden, das war vorbei, ein für alle Mal.
    35
    »Musst dich sputen, wenn du noch mitwillst, mein Täubchen.« Dröhnend lachte eine tiefe Männerstimme. Strecker! Überrascht drehte sie sich um und blinzelte den Mann an, der seinen vorspringenden Spitzbauch in die zarten Sonnenstrahlen reckte.
    »Was macht Ihr hier oben? Werdet Ihr da unten nicht dringend gebraucht?«
    »Das Gleiche könnte ich dich fragen, mein Täubchen. Schaut fast so aus, als wärst du nicht zufällig hier. Warst in der Höhle, was? Hast wen gesucht?« Seine runden Äuglein saugten sich an ihr fest. Schon trat er noch einen Schritt näher. Seine schmalen, feuchten

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