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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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den Berghang hinabzulaufen. Sie zögerte, ihm zu folgen. »Ich kann nicht mehr zurück«, rief sie.
    Rupprecht, der bereits einige Schritte entfernt war, drehte sich langsam um. In dem Moment hörten sie Stimmen. Hunde bellten, Männer kamen näher. Bewaffnete Patrouillen! Entsetzt sahen sie sich an.
    »Schau, wer hier liegt!«, rief einer von weiter unten. Er musste Streckers Leiche entdeckt haben. »Der Dicke hat es wohl wieder mal zu doll getrieben. Der Hosenlatz steht ihm noch offen.«
    »Die Wunde am Schädel ist frisch. Weit kann der Halunke nicht sein«, stellte ein Zweiter fest.
    »Du meinst, der Dicke ist nicht gestürzt, sondern erschlagen worden?«
    »Ganz gewiss. Hier, schau, da hat ihm einer eins übergezogen. Wenn wir uns sputen, schnappen wir den Burschen noch!«
    Sein Kamerad war nicht mehr zu halten: »Lass uns dafür sorgen, dass das Schwein gleich nachher unten am Galgen baumelt. Das wird Seume freuen.«
    »Du hast recht. Selten ist eine ordentliche Belohnung so leicht verdient.«
    Das Bellen und Knurren der Hunde wurde lauter. Magdalena stockte der Atem. Nicht lang, und eines der Tiere würde Witterung aufnehmen. Noch bevor ihre Flucht begonnen hatte, fände sie ihr unrühmliches Ende.

[home]
    Dritter Teil
    Flucht
    Franken
    Sommer 1646
    1
    D ie Sonne schickte sich an, als glutroter Ball hinter der Kuppel der Klosterkirche zu versinken. Die Fensterflügel auf beiden Längsseiten des Refektoriums standen weit offen. Dennoch staute sich stickige Luft in dem niedrigen Saal. Vielleicht brachte der Anbruch der Nacht endlich die erhoffte Abkühlung. Von den Wiesen am Mainufer wehte eine frische Brise herüber. Bald war sie auch in dem zum Lazarett umfunktionierten Refektorium zu spüren.
    Magdalena trat an ein Fenster an der Ostseite. Auf dem gegenüberliegenden Flussufer ragten die vielen Turmspitzen hoch in den Himmel. Es schien, als reckten sie sich empor, um die Wolken aufzuspießen. Die aber zogen, vom Wind getrieben, rasch davon. Verzaubert betrachtete Magdalena das Schauspiel. Gedankenverloren spielte sie mit dem Bernstein um ihren Hals und versuchte, die Türme dem Rathaus, dem Kiliansdom und der Marienkapelle zuzuordnen.
    Schließlich ging sie auf die Westseite und starrte in den Feuerball der untergehenden Sonne, bis ihr die Augen brannten. Sie brauchte diesen Schmerz, um die Qual tief in ihrem Innern zu ertragen. Jeder weitere Tag, den sie in dem elenden Spital der Schweden verbrachte, entfernte sie mehr von ihrem Ziel. Vier volle Wochen waren seit dem Aufbruch des kaiserlichen Heerlagers aus dem Mittelhessischen vergangen. Fast ebenso lang befanden Rupprecht und sie sich in den Händen der Schweden. Wenige Stunden nach Streckers Tod hatten Rupprecht und sie sich den gottlosen Heringfressern ergeben müssen.
    Der stärker werdende Abendwind zerriss die blauroten Schlieren am Himmel in unzählige kleine Stränge. Sie schlangen sich um die Zinnen der Marienfeste, bevor sie sich endgültig auflösten. In Magdalena wuchs die Verzweiflung. Die Abendstunden waren am schlimmsten. Die Hetze des Tages versiegte, die Zeit der Erinnerung brach an. Carlottas Brabbeln und Quietschen klang ihr im Ohr. Deutlich sah sie die Kleine mit ihren blauen Augen und dem rotblonden Haar vor sich. Viel zu lang schon war sie von ihr getrennt. Längst war sie überzeugt, genau in die entgegengesetzte Richtung wie ihr Kind getrieben zu werden, immer weiter, immer schneller weg von ihm. Elsbeth brachte die Kleine und Eric gewiss nach Köln zu ihrer Mutter Babette und deren Bruder, dem strengen Fassbinderonkel. Vor zwei Jahren noch hatte Babette sich geweigert, Elsbeth mit dorthin zu nehmen. Magdalena zweifelte jedoch nicht daran, dass es der Cousine gelingen würde, sich dort einzunisten. Also musste auch Magdalena nach Köln. Damit sie aus diesem gottverfluchten Kloster im Schatten Würzburgs wegkam, musste allerdings ein Wunder geschehen.
    Magdalena umklammerte den Bernstein noch fester. Die einst selbstverständliche Wärme war nicht zu spüren, von der Übertragung geheimnisvoller Kräfte ganz zu schweigen. Erschöpft lehnte sie die Stirn an den Fensterrahmen. Tränen verschleierten ihr den Blick. Sie schloss die Augen. Warum nur waren sie so kurz hinter Amöneburg ausgerechnet dem schwedischen Versehrtentrupp in die Hände gefallen? Auf jedes verdächtige Zeichen, jede noch so weit entfernt drohende Gefahr hatten Rupprecht und sie geachtet. Trotzdem waren sie den zwei Dutzend Offizieren mit den rund zehn Dutzend

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