Die Wundärztin
Verwundeten genau in die Arme gelaufen, ohne Aussicht, ihnen je wieder lebend zu entkommen. Sie hatte sich schon mehrfach bei dem Gedanken ertappt, dass Rupprecht das absichtlich arrangiert haben könnte. Dachte sie darüber nach, überflutete sie jedes Mal von neuem schiere Verzweiflung. Konnte sie dem Gefährten noch trauen?
»He, Magdalena, träumst du? Die Schere will ich haben!« Ungeduld klang aus Rupprechts Stimme. Dicht war er zu ihr getreten und fuchtelte ihr mit der Hand vor der Nase herum. »Lass uns endlich mit der Operation beginnen. Der Bursche hier auf dem Tisch kann nichts für dein Elend. Wir aber können viel dafür tun, dass er nicht auch noch seinen rechten Arm verliert und ebenfalls ins Elend stürzt. Also, reiß dich zusammen und bring mir die Schere von dort drüben. Vielleicht gelingt es mir, die Kugel noch aus ihm herauszuziehen.«
Widerwillig drehte Magdalena sich um. Sie brauchte eine Weile, bis sie sich darauf besonnen hatte, was um sie herum geschah. Auf dem langen Tisch in der Mitte des Saales stöhnte ein dunkelhaariger Mann ihres Alters. Den Wortfetzen nach, die er hin und wieder von sich gab, handelte es sich um einen Kroaten. Vor vielen Jahren schon hatte er seine Heimat verlassen müssen und seither unter den verschiedensten Feldherren gekämpft. Einzig sein rotes Halstuch verband ihn mit seinem Vaterland.
Entsetzliche Schmerzen quälten ihn. Auf Stirn und Oberlippen stand ihm der Schweiß, und er zitterte am ganzen Körper. Unauffällig verstaute Magdalena den Bernstein unter dem Stoff ihres Mieders, griff nach dem Branntweinschlauch und gönnte ihm einen tiefen Schluck, bevor sie sich selbst einen nicht weniger kräftigen genehmigte. Der Brand in der Kehle tat wohl. Erleichtert schüttelte sie die roten Locken nach hinten, wischte sich mit der Hand über den Mund und das spitze Kinn. Als sie Rupprechts tadelnden Blick auf sich spürte, fiel ihr wieder ein, was er wollte: die Schere mit den nach außen zeigenden Schneiden! Gehorsam holte sie das Gewünschte. Durch den Nebelschleier vor ihren grünen Augen sah sie dem Gefährten zu, wie er mit dem Instrument geschickt an der offenen Wunde hantierte: Erst steckte er die spezielle Schere so in den Einschuss, dass sich der Kanal, durch den die Kugel tief in den Arm gedrungen war, ein wenig weitete. Dadurch kam Rupprecht nah genug an das Geschoss heran, um es mit der Fasszange zu packen und herauszuziehen.
Während er mit größtmöglicher Konzentration arbeitete, fiel ihr auf, dass er sie schon länger nicht mehr gefragt hatte, ob sie nicht auch einmal operieren wolle. Stillschweigend hatte sich in den letzten Tagen die zwischen ihnen übliche Aufgabenverteilung umgekehrt. Sie konnte nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, ob sie jemals seit ihrer Ankunft in dem halbzerstörten Kloster etwas anderes als Gesichter abgetupft und einfache Handlangerdienste übernommen hatte. Als wäre es schon immer so gewesen, nahm Rupprecht das kommentarlos hin. Die schwedischen Offiziere erwarteten ohnehin nichts anderes, als dass der Mann operierte und die Frau half.
Ein lautes Stöhnen riss Magdalena aus diesen Gedanken. Allerdings hatte nicht der Kroate, sondern Rupprecht die Laute von sich gegeben. Sie hielt den Atem an. Zwei-, dreimal entglitt Rupprecht die schon sicher geglaubte Kugel und flutschte zurück in die offene Wunde. »Kruzifix!« Er beugte sich tiefer über den Patienten. Der Schweiß rann in dicken Tropfen über seinen schmalen Nasenrücken. Der Patient lag starr, der Alkohol hatte ihn vollends betäubt. Den mit Mohnextrakt, Alraune und Bilsenkraut getränkten Schwamm brauchte es nicht mehr. Abrupt richtete Rupprecht sich auf und wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. Dann operierte er weiter. Wieder spreizte er die Schere, bohrte ein weiteres Mal mit der Fasszange nach der Kugel. Endlich schien er sie richtig gepackt zu haben und zog sie heraus. »Da ist das Miststück!« Triumphierend hielt er ihr das ungleichmäßige Bleistück vor die Augen. Wieder einmal handelte es sich um eine dieser daumendicken, unregelmäßigen Kugeln, die die Söldner selbst am Lagerfeuer gossen. Beim Herausklopfen aus der Kugelzange war ein scharfkantiger Rand zurückgeblieben, der den Einschuss im Fleisch des Unterarms erheblich verschlimmert hatte. Noch bevor Magdalena das genauer betrachten konnte, befahl Rupprecht: »Das Nähen kannst du übernehmen. Vergiss nicht, nachher ordentlich von der roten Salbe über die Wunde zu streichen und
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