Die Wundärztin
Eibischblätter aufzulegen, bevor du ihn verbindest. Ich schau noch bei dem Hauptmann vorbei.«
Damit wandte er sich vom Operationstisch ab. Als er bemerkte, wie gebannt sie auf die Kugel starrte, besah er sie sich ebenfalls noch einmal genauer. »Was sagst du zu diesem Stück? Die Heringfresser haben auch schon mal mehr Wert darauf gelegt, ebenmäßige Kugeln zu gießen. Ich kann mich erinnern, dass wir früher nach einem Treffen mit den Schweden wahre Prachtstücke an Geschossen aus den Leibern der Unsrigen gezogen haben.«
»Muss daran liegen, dass sie die hier nur für die eigenen Kameraden verwenden«, stellte sie trocken fest. »Noch dazu für die Kroaten. Wenn man einen von denen wegen einer Spielschuld niederschießt, tut es so ein missratenes Stück wie das hier, das man für die eigentliche Schlacht nie verwenden würde.«
»Stimmt, solche Kugeln gießen sie nachmittags noch schnell in großer Hast, bevor sie abends zum Spielplatz stürzen.« Rupprecht wischte sich die blutverschmierten Finger an einem Leinenlappen ab und musterte sie aufmerksam. »Da bleibt kaum Zeit, um das Blei richtig abzukühlen oder gar glatt zu polieren. Gestern erst habe ich so eine Kugelzange unten im Hof gefunden. Ein wirklich lausig zurechtgeschliffenes Teil war das! So gehen die schwedischen Halunken also mit ihren Kameraden um: Gönnen ihnen am Ende nicht einmal ordentliche Kugeln, um sie ins Jenseits zu befördern. Muss wohl daran liegen, dass sie alles, was sich eben noch auf zwei Beinen halten kann, in ihren Regimentern zusammenpferchen. Echte Kameradschaft ist denen doch so fremd wie einem Lutheraner der Papst.«
»Wie sollte es auch anders sein bei der unüberschaubaren Zahl der Länder, aus denen die Söldner stammen? Du weißt genau, dass das bei den Unsrigen nicht anders ist. Die Zeiten sind vorbei, wo wir einig im wahren Glauben an die katholische Kirche und in Treue gegenüber dem Kaiser loszogen.« Noch während sie das aussprach, ärgerte sie sich bereits, überhaupt etwas gesagt zu haben. Seinem Lächeln entnahm sie, dass er genau dieses Eingeständnis von mangelnder Zusammengehörigkeit von ihr hatte hören wollen. Also zügelte sie ihren Unmut und sagte nur: »Dass ausgerechnet du dich darüber auslässt! Verrat ist dir doch alles andere als fremd.«
Sie warf ihm einen vielsagenden Blick zu und fügte hinzu: »Die eigentliche Krux ist doch, dass wir längst mehr damit beschäftigt sind, solche Wunden zu versorgen, die sich die Männer im Streit gegenseitig zufügen, als die eigentlichen Verletzungen aus der letzten Schlacht zu behandeln. Schlimm waren die ohnehin nicht. Bei den Verletzten und Siechen hier dreht es sich wie in jedem Regiment einzig darum, möglichst rasch wieder die Würfelbecher in die Finger zu bekommen und das Glück beim Spiel herauszufordern. Wer weiß, wie lange sie in der Lage sind, die Würfelbecher zu halten. Dabei ist das der einzige Zeitvertreib, den sie hier haben.«
»Da sagst du was. Nicht mal ordentliche Weiber gibt es hier«, stellte Rupprecht fest, während er ihr die Nadel reichte. »Das hat der Schwede davon, wenn er sein Spital in einem ehemaligen Männerkloster einrichtet. Hätten sie mal einen Weiberkonvent nehmen sollen, da wäre es ihnen wenigstens in dieser Hinsicht besser gegangen.«
Sie schluckte eine Entgegnung hinunter und schickte sich an, die Wundränder zu säubern und zur Sicherheit noch einmal mit einem in Branntwein getauchten Leinenstreifen abzutupfen. Das Nähen forderte sie heraus. Mehrmals musste sie innehalten und abwarten, bis ihr die Finger so gehorchten, wie sie sollten. Verflucht! Sie biss sich auf die Lippen. Dass es so weit hatte kommen müssen! Seit einigen Tagen ging ihr die Arbeit im Spital weitaus schlechter als früher von der Hand. Gerade wollte sie den nächsten Stich setzen, da spürte sie einen Krampf im Handrücken. Ehe sie es verhindern konnte, fiel ihr die Nadel hinunter. Sie musste sich bücken und suchend mit der linken Hand über den Boden tasten. Dicht an Rupprechts Stiefeln entdeckte sie das Gesuchte. Endlich gehorchten ihr die Finger wieder. Sie säuberte die Nadel rasch mit etwas Branntwein, dann setzte sie ihre Arbeit fort.
»Was ist?«, herrschte sie Rupprecht an, als sie spürte, wie aufmerksam er sie beobachtete. »Wartet dein schwedischer Hauptmann nicht längst sehnsüchtig auf dich? Sicher giert er ungeduldig nach dem, was du ihm jeden Tag so Geheimnisvolles bringst. Was treibt ihr beiden eigentlich Tag für Tag, wenn
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