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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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auf, spendeten den Sterbenden Trost und drückten den Toten die Augen zu. Kaum hatte einer seinen letzten Atemzug getan, wartete schon der nächste Verwundete auf den frei gewordenen Tisch.
    Magdalena atmete tief ein und aus. Endlich stoppte die Blutung bei dem Patienten, und sie konnte den Wundbalsam dick auf die Schläfe streichen. Roter Mangold färbte die Paste aus Baumöl, Terpentin, Kamillen- und Johannisblüten ein. Begierig schnupperte sie daran, um den Verwesungsgestank, der in dem feuchten Gemäuer hing, für ein paar Augenblicke zu vergessen. Schließlich bereitete sie ein Pflaster aus getrockneten Eibischblättern und legte den Kopfverband an. Unterdessen versorgten Meister Johann und Rupprecht die Wunden am restlichen Körper des Mannes, bis sie das Zeichen gaben, ihn fortzuschaffen. Helfer brachten ihn auf die andere Seite des Raumes, wo die bereits Behandelten vor sich hin dämmerten. Und schon wurde der nächste Patient auf den Tisch gehoben.
    Seit zwei Tagen tobte die Schlacht zwischen den kaiserlich-bayerischen Truppen auf der einen und den französisch-weimarischen auf der anderen Seite. Mit den kalten Unwetterwolken zu Wochenbeginn war auch die erwartete Verstärkung für die Franzosen von den Vogesen herübergezogen. Zwar kämpften die Kaiserlichen strategisch günstig von oben vom Slierberg aus gegen den Feind, zudem war den Franzmännern vom ununterbrochenen Regen das Pulver nass geworden, während die Kaiserlichen das ihrige in einigermaßen trockenen Unterständen lagern konnten. Dennoch bewiesen die Feinde weiterhin bewundernswerten Kampfesmut und setzten immer wieder von unten herauf mit neuen Angriffen nach. Magdalena wusste genauso wenig wie die anderen Feldscher, den wievielten Anlauf sie gerade unternahmen, die Schanzen zu brechen. Ein halbes Dutzend mochten es gewiss schon gewesen sein. Keiner zählte das noch, genauso wenig wie einer von ihnen wusste, wie viele Beine er bereits abgesägt und wie viele Augenpaare er gnädig zugedrückt hatte.
    Magdalenas müder Blick fiel auf Rupprecht, der gerade die Lederriemen um die Handgelenke des Verwundeten festzurrte. So wurde er selbst dann noch auf dem Tisch gehalten, wenn er sich mit letzter Kraft gegen die unerträglichen Schmerzen aufbäumte. Zum Zeichen, dass alles bereit war, nickte Rupprecht.
    »Steck ihm das Holz zwischen die Zähne«, schrie sie Meister Johann zu. Mit glasigen Augen sah er zu ihr. Sie erschrak: Machte er etwa schlapp? Wie so viele andere Wundärzte neigte auch er dazu, nicht nur den Verwundeten vor einem Eingriff einen Schluck aus dem Branntweinschlauch zu gönnen. Bislang jedoch hatte er sich stets in der Gewalt gehabt und rechtzeitig aufgehört. Noch nie war er wegen Trunkenheit ausgefallen. Sollte das ausgerechnet jetzt passieren, hatten sie ein Problem: Dem Mann vor ihnen musste der Unterschenkel abgenommen werden. Das konnten sie nur zu dritt bewerkstelligen. Weit und breit aber war kein Ersatz für Meister Johann zu finden.
    »Was-n-loss?« Mehr als ein unverständliches Lallen brachte er nicht heraus.
    »Rupprecht! Mach du«, entschied Magdalena und beobachtete besorgt, wie Meister Johann zu ihr ans Tischende torkelte. Seine Fahne raubte ihr den Atem. Sie schnappte angestrengt nach Luft. Als wäre das ein Zeichen, ging plötzlich ein Ruck durch seinen Körper. Er rülpste, dann griff er sich die Säge und besah sich das zerschossene Bein. Ein-, zweimal schwankte er noch, bis er zu seinem Gleichgewicht fand. Sie stellte sich dicht neben ihn, um im Notfall einspringen zu können. Der Feldscher war entschlossen, sich keine weitere Blöße zu geben. Kurz nickte er ihnen zu, dann beugte er sich abermals tief hinunter und setzte die Säge an, bis er den besten Winkel gefunden hatte. Seine dicklichen Finger zitterten. Durch das Sägeblatt setzte sich das deutlich fort. Magdalena fasste sich an den Bernstein, wagte aber nicht einzugreifen. Auch Rupprecht am anderen Ende des Tisches sah mit großen Augen herüber. Der schwierigste Part des Eingriffs stand unmittelbar bevor. Das rechte Bein des Mannes war vom Knie abwärts völlig zerfetzt. Es würde nicht einfach sein, einen sauberen Schnitt zu vollbringen. Inständig flehte Magdalena, es möge auch dieses Mal alles gutgehen und der Patient den Eingriff überleben.
    »Der muss wohl direkt in eine Kugel hineingelaufen sein«, sagte Rupprecht mitten in ihre Gedanken hinein und versuchte sich in einem schiefen Grinsen.
    »Du weißt genau, dass ich solche Scherze nicht

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