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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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verzweifelt nach seiner Mutter, ein anderer versuchte sich in einem letzten Vaterunser. Von einer Bahre nur wenige Schritt entfernt ragte eine Hand empor. Es sah aus, als winke sie ihr zu.
    »Magdalena!« Das Rufen wurde schwächer. Voll böser Ahnungen schlich sie hinüber.
    Auf der Trage unweit der unverputzten Hauswand lag ein Mann, das Gesicht verquollen, der Leib zerschossen, mehr konnte sie in der Dämmerung nicht erkennen. Noch einmal wandte sie sich zum Kamin, griff sich eines der brennenden Holzscheite und ging wieder zu der Bahre zurück, um den Verletzten anzuleuchten.
    »Mein Mädchen!«
    Der Vater! Sie zuckte zurück. Nein, das konnte nicht sein, durfte nicht sein! Langsam sank sie zu Boden, leuchtete die Gestalt an und zog im nächsten Augenblick das Licht zurück. Der Anblick war nicht zu ertragen.
    »Vater!« Sie nahm seine Hand und drückte sie. Kaum spürbar erwiderte er den Druck. Auf seinem zerschossenen Gesicht wurde trotz aller Wunden so etwas wie ein Lächeln erkennbar. Das Weiß der Augäpfel leuchtete im Schein des Holzscheits hell auf. Warum hatte sie ihn nicht schon früher gefunden? Jemand hätte ihr Bescheid sagen müssen, damit sie nach dem verletzten Vater hätte sehen können. Vielleicht hätte sie vor einigen Stunden noch etwas für ihn tun können. Nun aber war es zu spät. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen, Verzweiflung sie überkam. Gerade noch konnte sie sich zurückhalten, nicht weinend über ihm zusammenzusinken. Der zerschossene Körper hielte die Belastung gewiss nicht mehr aus.
    »Lass – mich – nicht – allein«, flüsterte er. Nach jedem Wort musste er innehalten, mühsam Speichel und Blut hinunterschlucken und neue Kraft zum Weiterreden sammeln.
    »Nicht, Vater«, erwiderte sie und legte den Zeigefinger auf die Lippen. Die letzten Momente seines Lebens sollte er sich nicht noch durch unnötiges Reden quälen. Behutsam strich sie ihm über das schweißnasse Haar, rang sich ein aufmunterndes Lächeln ab. Sie wollte etwas sagen, doch ihr fehlten die Worte. Also blickte sie ihn einfach nur stumm an. In ihrem Innern tobte ein heftiger Kampf. Einerseits wollte sie ihn in Ruhe einschlafen lassen, andererseits haderte sie mit sich, ob sie nicht doch rasch aufstehen und drüben an ihrem Tisch nach schmerzlindernden Kräutern oder wenigstens nach dem Schlauch mit Branntwein suchen sollte.
    Draußen wurde es wieder lauter. Zweifelsohne näherten sich die kämpfenden Truppen. Piken und Säbel klirrten gegeneinander, dazwischen fielen immer wieder einzelne Schüsse. Befehle erklangen. Die Franzosen mussten den Berg von der Westseite her erstürmt haben und in die Schanzen der Bayerischen eingedrungen sein. Versprengte Rotten hielten dagegen. Lange würden sie dem Ansturm gewiss nicht standhalten können.
    Magdalenas Herz klopfte schneller. Sie konnte nicht weg. Sie musste bei ihrem Vater bleiben. Er durfte nicht allein sterben. Noch schien er zum Glück nichts von der Gefahr draußen zu ahnen.
    »Mutter – und – Fritz«, mühte er sich nach einer Weile wieder und versuchte den Kopf zur Seite zu drehen, um ihr in die Augen sehen zu können. Ein gurgelndes Geräusch entschlüpfte seiner Kehle. Bläschen von Speichel und Blut quollen heraus. Sacht schüttelte sie den Kopf und bedeutete ihm, nicht weiterzureden. Gleichzeitig hoffte sie, dass die Feinde sich noch ein wenig Zeit ließen. Wenigstens das Sterben des Vaters sollten sie nicht stören.
    »Mach dir keine Sorgen um die beiden«, sagte sie lauter als nötig, damit er von den Geräuschen draußen nichts hörte. Er würde sie fortschicken, wenn er wusste, was da vor sich ging. »Ich werde gut auf sie aufpassen. Fritzchen ist über den Berg. Er wird zu einem strammen Burschen heranwachsen. Darauf kannst du dich verlassen. Das verspreche ich dir.«
    Sie erneuerte den Griff um seine Hand, spürte, wie sein Atem zögerlicher ging, die Brust sich kaum mehr hob und senkte. Rasch fühlte sie den Puls, konnte ihn kaum mehr finden. Umso erstaunlicher, dass er sich plötzlich aufbäumte, ihre Finger umklammerte, ihren Blick suchte und deutlich sagte: »Versprich, dass du Eric vergisst. Er ist dein Verderben!«
    Ein Zucken fuhr durch seinen Körper. Er rollte mit den Augen und bewegte ein weiteres Mal tonlos die Lippen, als wollte er etwas hinzufügen, doch er brachte keinen Laut mehr heraus. Stattdessen sprudelte noch einmal Blut. Im nächsten Moment riss er entsetzt die Augen weit auf, als erblicke er die Hölle

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