Die Wundärztin
Überhaupt schien Berta ihren Platz bei dem Kind eingenommen zu haben. Ständig plapperte die Kleine von ihr und stürzte auch gleich wieder aus Elsbeths Kammer, wenn sie ihre Stimme draußen vernahm.
Die polternden Schritte, die Elsbeth nun hörte, waren jedoch eindeutig zu schwer, um von Carlottas Füßen zu stammen. Auch ohne dass sie die Augen öffnete, wusste sie, wer vor ihr stand: Eric. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Bislang hatte sie vermeiden können, ihn zu sehen. Bertas anklagender Ausruf, welche Ursache ihr Fieber hatte, musste ihn lange davon abgehalten haben, sie aufzusuchen. Deutlich erinnerte sie sich an seinen verächtlichen Blick, mit dem er sie angestarrt hatte. Irgendwann, so tröstete sie sich, würde sie Gelegenheit finden, ihn für die Schmach bezahlen zu lassen.
Sie ließ sich viel Zeit, die Augen aufzuschlagen und Eric anzusehen. Schon hüstelte er zum dritten Mal in die Faust und scharrte mit den kotverschmierten Stiefeln über die Holzdielen. Erst da bequemte sie sich, träge zwischen den langen Wimpern zu blinzeln.
»Kannst du mich hören?«, fragte er barsch, sobald er das bemerkt und als Zeichen des Wachwerdens gedeutet hatte. »Sag was, Elsbeth. Es ist dringend.«
»Was?« Träge gähnte sie.
»Was ist mit Magdalena?« Als gäbe es keine Zeit zu verlieren, stieß er die Frage anklagend aus. »Wann hast du zum letzten Mal von ihr gehört? Sag mir die Wahrheit, sonst weiß ich nicht, was ich tue!« Er stürzte zum Bett, riss sie an den Schultern aus den Kissen und schüttelte sie, bis ihr schlecht wurde.
»Nicht!«, schrie Berta und sprang unerwartet flink herbei. Damit er von ihr abließ, musste sie ihm fest ins Gesicht schlagen. »Wenn du willst, dass sie dir noch was sagen kann, musst du sie schonen. Das Fieber lässt sie gerade für eine Weile verschnaufen. Kann gut sein, dass es ihr bald schon wieder schlechter geht. Noch ist sie nicht über den Berg. Vorsicht also, wenn du jemals noch was von ihr erfahren willst!«
»Gut«, murmelte er und rückte sich einen der beiden Schemel mit der Stiefelspitze zurecht, dann setzte er sich darauf, beugte sich nah zu Elsbeth, stützte die Arme auf die Oberschenkel und sah sie mit seinen tiefblauen Augen eindringlich an. »Lass uns allein«, bat er Berta.
Die wartete jedoch noch einen Moment, bis sie überzeugt schien, dass er ihre Warnung begriffen hatte. Dann wackelte sie in ihrem entenähnlichen Altweibergang hinaus und schloss behutsam die Tür hinter sich. Carlottas fröhliches Stimmchen quiekte über den Flur. Berta antwortete etwas, was dem Kind offenbar nicht gefiel. Wütend weinte sie, Berta sagte Tröstendes. Allmählich entfernten sich die Stimmen und Schritte.
Jetzt waren sie also allein. Die Stille hing schwer in der Kammer. Vor dem Fenster zwitscherten die Vögel, Stare und Rotkehlchen, unterbrochen vom Trillern eines Kleibers, dem eine Kohlmeise meckernd widersprach. Wieder strahlte die Sonne in die Kammer herein, als gelte es, die langen, düsteren Regenwochen im August an einem einzigen Tag wettzumachen. Elsbeth genoss es, dass Eric hatte einlenken müssen. Eine Weile starrte sie einfach nur an die Decke, bemühte sich, die Maserung der Balken zu erkennen, zählte den Fliegendreck. Drei Mücken surrten durch die Luft, vollführten ein endloses Kreisen und Tanzen, als bestünde ihr einziger Lebenszweck darin.
»Elsbeth, bitte, verrate mir endlich die Wahrheit«, flehte Eric. Seine Hände hielt er ineinandergefaltet. Langsam neigte sie den Kopf zur Seite und sah ihn schweigend an. »Bitte, Elsbeth, denk an Carlotta. Sie braucht ihre Mutter. Du bist die Einzige, die weiß, wo sie steckt.«
Sie tat, als brauchte sie noch eine Weile, um zu sich zu kommen, fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen, hustete mehrmals. Er verstand das als Aufforderung, ihr zu trinken zu geben. Rasch holte er den Becher mit Wasser, der auf dem Tisch stand, und setzte ihn ihr an die Lippen. Um ihren Kopf zu stützen, legte er ihr den Arm um den Nacken. So nah waren sie sich noch nie gekommen. Sie trank in winzig kleinen Schlucken.
»Ein kleiner Trupp ehemaliger Versehrter hat östlich von Rothenburg Quartier genommen«, sagte er. »Zweimal schon war ich in den letzten Tagen drüben, habe aber nur wenig in Erfahrung gebracht. Es ist gefährlich, sich ihnen zu nähern, solange ich nicht weiß, um wen es sich genau handelt. Es heißt, sie kommen aus einem Kloster bei Würzburg. Zwei Feldscher von den Kaiserlichen sollen sie dort versorgt
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