Die Wundärztin
haben. Das könnten Magdalena und Rupprecht gewesen sein, etwas Ähnliches haben mir meine Leute in Würzburg bereits angedeutet. Weißt du mehr?«
Nach einem langen Augenaufschlag und einem effektvollen Stöhnen sah sie ihn an und wisperte schwach: »Wieso?«
»Elsbeth, bitte!« Es kostete ihn Mühe, sich nicht abermals ungeduldig auf sie zu stürzen und sie an den Schultern zu rütteln. »Du hast mir gesagt, du hättest Kontakt zu Magdalena. Hast du in Würzburg eine Nachricht von ihr erhalten? So sag doch was! Ich flehe dich an. Tu es Carlotta zuliebe, bitte!« Ehe sie sich versah, sank er tatsächlich neben dem Bett auf die Knie. Seine verzweifelte Miene gefiel ihr. Die Falten oberhalb seiner Nasenwurzel vertieften sich, die Augen wirkten noch blauer, der spöttische Zug um seinen Mund war verschwunden. So ähnelte er Carlotta, wenn die Kleine an ihrem Busen lag und den Nippel suchte. Der Gedanke ließ sie schmunzeln, gleichzeitig verspürte sie einen Stich in der Brust. Das Kind hatten sie ihr weggenommen, von ihrer Brust entwöhnt. Berta bewachte es wie ein Wachhund den Hof. Wenn sie Magdalena fanden, würde sie die Kleine nie mehr um sich haben.
»Weißt du, warum Carlotta so an mir hängt?«, flüsterte sie und schob sich langsam in den Kissen auf. »Hat dir Magdalena jemals die Wahrheit über euer Kind erzählt?«
Erics tiefes Luftholen war besser als jede Antwort. So schnell entkam er ihr nicht, so leicht wurden weder ihre Cousine noch ihr Geliebter sie los, erst recht nicht, um das Kind für sich allein zu haben. Wieder drehte sie den Kopf, stierte zur Decke und kostete es aus zu wissen, wie gebannt Eric auf jedes ihrer Worte wartete. Sowenig er sie hören wollte, so musste er sie doch ertragen, wenn er überhaupt etwas von ihr erfahren wollte. Endlich war ihre Stunde gekommen!
»Magdalena hat sie kein einziges Mal an die Brust gelegt, sie niemals mütterliche Wärme spüren lassen. Das hat die Kleine alles von mir bekommen. Wäre ich nicht gewesen, hätte sie gar nicht überlebt.« Sie sprach es langsam und betont gegen die Decke. Auch ohne ihn anzusehen, wusste sie, dass Eric an ihren Lippen hing. »Roswitha war völlig verzweifelt. Dass eine Mutter ihr Kind nach der Geburt nicht nimmt, das hatte sie noch nie erlebt. Dabei hat sie schon Legionen von Kindern auf die Welt geholfen. Zum Glück war ich da und konnte einspringen, habe die Mutterstelle vertreten. Das arme Würmchen! Ich habe Carlotta genährt und gesäugt, über sie gewacht und bin ihr die Mutter gewesen, die Magdalena nicht sein wollte. Sie hätte euer Kind krepieren lassen wie einen Wurf Katzen, den man nicht brauchen kann.«
Die letzten Worte spie sie hasserfüllt aus, weitaus lauter und kräftiger, als sie beabsichtigt hatte. Sobald sie es merkte, begann sie zu husten und nach Luft zu schnappen. Eric sollte nicht denken, es ginge ihr besser.
»Und was war mit deinem eigenen Kind?«, fragte er, als sie sich wieder beruhigt hatte.
»Was?« Sie traute ihren Ohren nicht. Wieso fragte er das? Das stand ihm nicht zu. Niemandem stand das zu. Niemand hatte ein Recht, von ihrem Kind zu sprechen, am allerwenigsten Eric, dem sie gerade Magdalenas Grausamkeit beschrieben hatte. Warum wollte er darüber nicht mehr wissen? Angestrengt versuchte sie darüber nachzudenken. Es gelang ihr nicht. Stattdessen fraß sich der Schmerz in ihren Leib, weil er sie an ihr eigenes Kind erinnert hatte, das sie nicht ein einziges Mal in Händen hatte halten dürfen.
»Tot«, zischte sie und hoffte, das Bild von dem blauen, verformten Bündel, das Roswitha mit entsetztem Gesicht vom Boden aufgehoben und rasch nach draußen gebracht hatte, zu verdrängen. Etwas in ihr bäumte sich auf. »Tot ist es!«, schrie sie heraus. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, wie Eric aufsprang und sie stützen wollte. Seine Hände auf ihrem Leib zu fühlen, würde sie jetzt nicht ertragen. Mit letzter Kraft schleuderte sie ihm entgegen: »So tot wie Magdalena!«
Ein wildes Schluchzen schüttelte sie. Kraftlos fiel sie nach hinten und versank in einem schwarzen Loch.
19
In diesem September wollte der feine Nieselregen kein Ende finden. Grau hüllte der dichte Regenschleier die Gegend um die Haßberge ein. So weit man sonst über die sanft geschwungenen Hügel und Felder blicken mochte, so sehr versank nun alles im Dunst frühherbstlicher Nebelschwaden. Der Geruch nach faulem Obst und verdorbenem Getreide wollte gar nicht mehr weichen. An den Bäumen wehte lange vor der Zeit
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