Die Wundärztin
In einer offenen Kiste auf dem Boden dicht davor fanden sich Tiegel und Krüge sowie einige kleine Leinensäcke. Jemand stand bei den Gerätschaften am Fenster und hantierte bereits eifrig mit ihnen herum. Im Gegenlicht ähnelte der Umriss dieses Unbekannten Meister Johann.
Magdalena schrie auf. Überrascht fuhr er herum und blinzelte sie an. Erst da wurde ihr klar, dass es sich lediglich um Ambrosius, den ehemaligen Apothekermönch, handelte. Allein an der geringeren Größe hätte sie den Irrtum schon erkennen müssen.
Beschämt schlug sie die Hand vor den Mund. Auch Rupprecht sah befremdet zu ihr hin. Sie verstand sich selbst nicht. Meister Johann war nicht nur größer, sondern auch breitschultriger gewesen. Zudem wies sein Schädel einen größeren Umfang auf, von der völlig anderen Haarpracht einmal ganz abgesehen. Wie hatte sie sich nur so leicht täuschen lassen können? Wahrscheinlich, weil sie so lange nicht mehr an ihren Lehrmeister gedacht hatte, wie sie auch die gute, alte Roswitha, viel zu oft vergaß. Dabei hatten die beiden alles für Eric und sie aufs Spiel gesetzt. Ein Schaudern durchlief ihren Körper. Wie hätte sie ahnen können, dass Hagen Seumes Rache so furchtbar werden würde?
»Willst du auch die Schätze sehen?«, fragte Ambrosius Rupprecht und wies mit einer weit ausholenden Armbewegung durch den Raum. »Unglaublich, dass sich doch so einiges durch die letzten Jahre hat retten lassen. Gestern Nachmittag sind Magdalena und ich zufällig auf die Kiste hier gestoßen. Sie war in einem Garten oben am Salzmarkt vergraben. Es soll das Anwesen der Bürgermeisterwitwe gewesen sein. Unser Freund hier«, er nickte zu dem Weißhaarigen, »hat sich dort seit einigen Tagen eingenistet. Gemeinsam haben wir also gestern den Schatz geborgen.«
»Stell dir vor«, sagte Magdalena, dankbar, sich auf ein anderes Thema besinnen zu können, »er ist auch Feldscher. Seit Jahren zieht er im Gefolge von Oberst Widmann durch die Gegend. Das ist das Regiment, das vor sechs Jahren oben von der Burg aus die Stadt zurückerobert hat.«
Der Weißhaarige schmunzelte. Offensichtlich erfüllte ihn die Erwähnung dieser Tat mit Stolz. Mit ausgestreckter Hand ging er auf Rupprecht zu. »Nenn mich Ludwig.« Er klopfte ihm auf die Schulter. »Ein Wunder, dass wir uns noch nie zuvor begegnet sind. Wie ich höre, seid ihr beide oft mit den Versehrten hier langgezogen. Sogar oben in Amöneburg wart ihr dabei. Auch ich bin erst Ende Juni von dort weggezogen.«
»Was?« Verblüfft sah Magdalena ihn an. Das hatte er ihr bislang verschwiegen. »Dann warst du also dabei, als die kaiserlichen Truppen von dort nach Bayern gezogen sind?«
Rupprecht erfasste, worauf sie hinauswollte, und machte ihr ein Zeichen zu schweigen. Offenbar misstraute er Ludwig. »Wie kommt es, dass du jetzt nicht mehr im Regiment bist?«, fragte er ihn brüsk. »Feldscher werden dort immer benötigt. Hier in diesem gottverlassenen Nest dagegen braucht dich keiner.«
»Das könnte ich dich auch fragen.« Ludwig sah Rupprecht von oben herab neugierig aus seinen hellbraunen Augen an. »Auch du solltest deine Zeit nicht hier vertrödeln, sondern schauen, dass du zu den Kaiserlichen zurückfindest. Am Lech wird die Schlacht wohl bald weitergehen.«
»Die Schweden haben uns gefangen genommen«, sagte Rupprecht.
»Von denen sind wohl nicht mehr viele übrig geblieben. Magdalena und Ambrosius haben mir bislang nur von eurem Hauptmann Englund erzählt. Den zu überlisten und euch auf den Weg zu den Eurigen zu machen sollte euch drei nicht schwerfallen. Es sei denn, ihr habt triftige Gründe, nicht zu eurem Regiment zurückzukehren. Aber lassen wir das.«
»Was?« Verärgert sah Rupprecht zu Magdalena, zog sie beiseite und schimpfte: »Wie kommst du dazu, ihm das alles zu erzählen? Du weißt gar nichts von ihm. Ehe wir uns versehen, haut er ab und liefert uns ans Messer.«
Noch bevor sie etwas erwidern konnte, schaltete sich der dicke Ambrosius ein. »Keine Sorge! Für Ludwig lege ich meine Hand ins Feuer. Ihm können wir vertrauen, das sagt mir mein Gefühl.«
»Hoffentlich täuscht es dich nicht.« Rupprecht schien alles andere als überzeugt und stieß ein unwilliges Brummen aus.
»Ist das nicht eine glückliche Fügung, dass wir diese Kiste gefunden haben?«, fragte Magdalena nach einer Weile. »Jetzt können wir Salben und Pflaster vorbereiten. Sogar einige Öle sind darunter. Damit lässt sich eine Menge anfangen.«
»Wozu willst du das tun? So
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