Die Wundärztin
hier waren, der ist mir noch gut in Erinnerung«, stimmte Rupprecht nachdenklich zu. Die Bilder von damals schienen ihn mehr zu beschäftigen als das Schicksal der Medikusfamilie. Auch Magdalena konnte sich der entsetzlichen Bilder des Brandes nicht erwehren, im Folgejahr der Magdeburger Hochzeit das nächste furchtbare Erlebnis dieser Art. Es geschah in einer eisig kalten Märznacht. Nie würde sie das unerbittliche Rütteln des Windes an den Fensterläden vergessen, der das Feuer so anfachte, dass es innerhalb kürzester Zeit mehr als einhundertunddreißig Häuser vernichtete. Einzig Tillys beherztem Eingreifen war es zu verdanken, dass nicht auch die stolze Pfarrkirche ein Raub der Flammen wurde.
Wie auf ein geheimes Zeichen drehten sich Magdalena und Rupprecht noch einmal zum Marktplatz um und sahen auf die andere Seite, wo das leere Gerippe des Gotteshauses in den wolkenverhangenen Himmel ragte. Acht Jahre später hatte ein Tilly gefehlt, um die neuerliche Katastrophe für das Gotteshaus zu verhindern.
»Dein Vater war damals frisch zum Korporal befördert worden«, begann Rupprecht auf einmal. »Ich weiß noch, wie neidisch ich war, als ich sah, dass er dir und deiner Mutter ein bequemes Quartier direkt neben dem von Tilly verschafft hatte. Tilly wohnte im Haus der Bürgermeisterwitwe Graser, direkt oben am Salzmarkt, und dein Vater hat dich und Babette gleich in das angrenzende Gebäude des Stadtschreibers gebracht.«
»Was du noch alles weißt!« Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Hatte er eben nicht noch Mühe gehabt, sich an die Apotheke zu erinnern? Nie würde sie aus ihm schlau werden.
Er fuhr bereits fort: »Im ganzen Fähnlein wurde darüber geredet. Mein Vater hat vor Wut gekocht, weil er sich übergangen fühlte, sowohl bei der Beförderung als auch mit dem Quartier. Meine Mutter hat wie ein Rohrspatz geschimpft, denn natürlich ist uns wie so vielen anderen aus dem Tross wieder einmal nur ein windiger Verschlag draußen vor den Toren der Stadt, mitten auf dem freien Feld, geblieben. Damals hatten wir noch nicht einmal einen Wagen und einen Ochsen. Der Schnee lag knöcheltief, das Wasser gefror in den Pfützen. Wenigstens durfte ich euch nachmittags in der prächtigen Unterkunft besuchen, mit dir in der Küche spielen und mich am Herdfeuer gründlich aufwärmen.«
»Ja, die Köchin hat uns Pfannkuchen gebacken, daran erinnere ich mich. Wie das geduftet hat! Richtig vornehm war es in dem ganzen Haus. Meine Mutter stand kurz vor der Niederkunft, was ich damals noch nicht begriffen habe. Fürsorglich hat der Stadtschreiber seine reichausgestattete Stube für sie geräumt und ihr darin direkt am Kaminfeuer ein Bett aufstellen lassen. Auch ich durfte mich dort wärmen, bin zum ersten Mal seit Magdeburg wieder dicht vor einem prasselnden Feuer eingeschlafen. Babette meinte noch, damit hätte ich die Schrecken von damals wohl endlich überwunden.«
Wieder nickte Rupprecht. Es war wirklich erstaunlich, wie klar er das alles noch vor Augen hatte. Soweit sie sich erinnern konnte, hatten sie noch nie darüber geredet. Bevor sie ihn darauf ansprechen konnte, sagte er: »Lange durftet ihr euch aber nicht an den ungewohnten Annehmlichkeiten freuen. Noch in der ersten Nacht ist in den hinteren Stallungen des Graserschen Anwesens das Feuer ausgebrochen. Hinterher vermutete man die Unachtsamkeit eines Pferdeburschen als Ursache. Der arme Kerl hat arg dafür gebüßt. Dabei konnte er gar nichts dafür.«
»Wofür?« Sie wurde hellhörig. »Warst du etwa dabei? Hast du was gesehen?«
»Nicht viel. Ich hatte mich in die Ställe geschlichen, weil ich auch ein warmes Plätzchen finden wollte. Allein der Gedanke an den zugigen Verschlag und die schlechte Laune meiner Eltern, ihr ständiges Gezeter inmitten meiner kleinen schreienden Geschwister waren mir ein Graus. Viele hatten die gleiche Idee wie ich. Du glaubst nicht, was da hinten in den Ställen los war!«
»Du meinst, der Brand ist ausgebrochen, weil so viele in demselben Stall nächtigen wollten? Das war doch verboten!«
»Was ist nicht alles verboten und wird trotzdem gemacht, weil man sich selbst am nächsten ist? Jedenfalls wäre es mit dem Feuer nicht so schlimm geworden, wenn der eisige Wind nicht so heftig durch die Stadt geweht hätte. Deshalb dauerte es nicht lang, bis die Flammen um sich griffen und jedes Haus und jedes Gebäude erfassten, genau wie seinerzeit in Magdeburg.«
»Ja. Es war wie in Magdeburg!« Sie biss sich auf die Lippen. Die
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